C. Unzulässigkeit nach § 3 I UWG i.V.m. § 4 Nr. 2 UWG (Schädliche Tatsachenbehauptung über Mitbewerber)

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Aus § 3 I UWG i.V.m. § 4 Nr. 2 UWG folgt die Unzulässigkeit von nicht erweislichen oder unwahren behaupteten oder verbreiteten Tatsachenbehauptungen über einen Mitbewerber, die zur Schädigung des Betriebs oder Kredits geeignet sind. Anders als § 4 Nr. 1 UWG werden erweislich wahre Tatsachenbehauptungen und Werturteile nicht erfasst, sodass auch kein grundrechtlicher Schutz der Meinungsfreiheit besteht. § 4 Nr. 2 UWG beinhaltet eine Beweislastumkehr, solange keine vertrauliche Mitteilung vorliegt (C.4) und ist neben § 6 UWG anwendbar.

Die Unzulässigkeit nach § 3 I UWG i.V.m. § 4 Nr. 2 UWG kann nach folgendem Schema geprüft werden:

  1. Nicht erweisliche oder unwahre Tatsachenbehauptung über einen Mitbewerber
  2. Behauptung oder Verbreitung einer Tatsache
  3. Eignung zur Schädigung des Betriebs oder Kredits
  4. Ausnahme: Beweislastumkehr bei vertraulichen Mitteilungen

§ 4 Nr. 2 UWG | Mitbewerberschutz
Unlauter handelt, wer über die Waren, Dienstleistungen oder das Unternehmen eines Mitbewerbers oder über den Unternehmer oder ein Mitglied der Unternehmensleitung Tatsachen behauptet oder verbreitet, die geeignet sind, den Betrieb des Unternehmens oder den Kredit des Unternehmers zu schädigen, sofern die Tatsachen nicht erweislich wahr sind; handelt es sich um vertrauliche Mitteilungen und hat der Mitteilende oder der Empfänger der Mitteilung an ihr ein berechtigtes Interesse, so ist die Handlung nur dann unlauter, wenn die Tatsachen der Wahrheit zuwider behauptet oder verbreitet wurden;

1. Nicht erweisliche oder unwahre Tatsachenbehauptung über einen Mitbewerber

§ 4 Nr. 2 UWG findet Anwendung für nicht erweislich wahre Tatsachenbehauptungen, während § 4 Nr. 1 UWG erwiesen wahre Tatsachenbehauptungen und Werturteile erfasst. Entsprechend ist die Abgrenzung zwischen Tatsachenbehauptungen und Werturteile erforderlich.

Tatsachen sind Vorgänge oder Zustände, deren Vorliegen oder Nichtvorliegen dem Wahrheitsbeweis zugänglich ist.
Werturteile sind dagegen durch das Element des Wertens, insbesondere der Stellungnahme und des Dafürhaltens gekennzeichnet.[1]

§ 4 Nr. 2 UWG beinhaltet eine Beweislastumkehr, sodass die Unwahrheit einer Tatsachenbehauptung vom Behauptenden bewiesen werden muss.

Das Tatsachenurteil muss über Waren, Dienstleistungen oder das Unternehmen eines Mitbewerbers oder über den Unternehmer oder ein Mitglied der Unternehmensleitung sein und eine geschäftliche Handlung darstellen.

a. Problem: Abgrenzung Werturteil und Tatsachenbehauptung

Ausschlaggebend für die Abgrenzung zwischen Werturteilen und Tatsachenbehauptungen ist die Möglichkeit des Wahrheitsbeweises unter Berücksichtigung des Verständnisses des angesprochenen Verkehrs im Gesamtzusammenhang der Form und des Inhalts der Äußerung. Bei der Vermischung von Werturteilen und Tatsachen ist zunächst eine Trennung der Aussage und sekundär eine Schwerpunktermittlung vorzunehmen.[2]

BGH NJW 2009, 1872 – Fraport-Manila-Skandal
Für die Beurteilung der Frage, ob eine Äußerung als Tatsachenbehauptung oder Meinungsäußerung bzw. Werturteil einzustufen ist, bedarf es nach ständiger Rechtsprechung der Ermittlung des vollständigen Aussagegehalts. Insbesondere ist jede beanstandete Äußerung in dem Gesamtzusammenhang zu beurteilen, in dem sie gefallen ist. Sie darf nicht aus dem sie betreffenden Kontext herausgelöst einer rein isolierten Betrachtung zugeführt werden […]. So dürfen aus einer komplexen Äußerung nicht Sätze oder Satzteile mit tatsächlichem Gehalt herausgegriffen und als unrichtige Tatsachenbehauptung untersagt werden, wenn die Äußerung nach ihrem – zu würdigenden – Gesamtzusammenhang in den Schutzbereich des Grundrechts auf freie Meinungsäußerung gemäß Art. 5 I GG fallen kann und in diesem Fall eine Abwägung zwischen den verletzten Grundrechtspositionen erforderlich wird […]. Dabei ist zu beachten, dass sich der Schutzbereich des Art. 5 I GG auch auf die Äußerung von Tatsachen erstreckt, soweit sie Dritten zur Meinungsbildung dienen können, sowie auf Äußerungen, in denen sich Tatsachen und Meinungen vermengen und die insgesamt durch die Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder Meinens geprägt werden […].
Der von der Revision nicht angegriffene Aussagekern betrifft die Vernichtung von ca. 500 Mio. US-Dollar in dem Manila-Airport-Projekt. Hieran knüpft sich der Vorwurf, dass mit allen Mitteln versucht werde, die Verantwortlichen im Fraport-Vorstand und Fraport-Aufsichtsrat vor Strafe und Haftung zu schützen, weshalb auch die Strafverfolgung nur halbherzig, äußerst vorsichtig und zurückhaltend durchgeführt werde. Damit wird einerseits klargestellt, dass es bisher nicht zu strafrechtlichen Verurteilungen gekommen ist, andererseits werden die Gründe genannt, welche die Bekl. hierfür vermutet. Jedenfalls werden Missstände erörtert, die für die Öffentlichkeit von großer Bedeutung sind. Unter diesen Umständen handelt es sich insgesamt um Äußerungen, die durch die Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder Meinens geprägt werden und deshalb in vollem Umfang am Schutz des Grundrechts aus Art. 5 I GG teilnehmen. […]
Wenn die Bekl. dann die nach ihrer Auffassung früher geltenden Prinzipien der Vetternwirtschaft, Polit-Kumpanei, des Kadavergehorsams, der Lügen, Heuchelei und Scheinheiligkeit als „perfekte Korruptionsprävention“ einer neuen Linie gegenüberstellt, zu der sich der Fraport-Vorstand und Aufsichtsrat endlich entschlossen hätten, ist auch insoweit die gesamte Äußerung unverkennbar durch die Erörterung von Missbrauch öffentlicher Gelder und verantwortungslosen Geschäftsgebarens in einer Weise geprägt, die sie dem Schutz der Meinungsfreiheit unterstellt. […]

b. Problem: Behauptung über Geschehnisse in der Zukunft

Behauptungen über Geschehnisse in der Zukunft sind nicht dem Beweis zugänglich und somit keine Tatsachen, solange es sich nicht um Prognosen basierend auf Vorgängen in der Vergangenheit oder Gegenwart handelt.[3]

2. Behauptung oder Verbreitung einer Tatsache

Erforderlich ist weiter das Aufstellen einer eigenen Behauptung, das Zueigenmachen einer fremden Behauptung oder dessen Verbreitung.

Eine Behauptung wird aufgestellt, wenn eine Tatsache aufgrund eigenen Wissens als wahr herausgestellt wird.[4]

Eine fremde Behauptung wird zu eigen gemacht, wenn die Verantwortung hierfür übernommen oder der zurechenbare Anschein der Identifikation mit den Inhalten erweckt wird.[5]

Eine fremde Tatsachenbehauptung wird verbreitet, wenn sie weitergegeben wird und hierdurch Dritten die Möglichkeit der Kenntnisnahme gegeben wird.[6]

a. Problem: Behauptungen auf Internetportalen & Webseiten

BGH GRUR 2015, 1129 – Hotelbewertungsportal
Der Betreiber eines Hotelbewertungsportals macht sich erkennbar von Dritten in das Portal eingestellte Äußerungen nicht im Sinne des § 4 Nr. [2] UWG als Tatsachenbehauptung zu Eigen, wenn er die Äußerungen nicht inhaltlich-redaktionell aufbereitet oder ihren Wahrheitsgehalt überprüft, sondern die Anwendung eines automatischen Wortfilters sowie ggf. eine anschließende manuelle Durchsicht lediglich dem Zweck dienen, gegen die Nutzungsbedingungen verstoßende Einträge (etwa Formalbeleidigungen oder von Hotelbetreibern abgegebene Eigenbewertungen) von der Veröffentlichung auszuschließen. Eine inhaltlich-redaktionelle Bearbeitung stellt es mangels inhaltlicher Einflussnahme nicht dar, wenn die von Nutzern vergebenen „Noten“ durch die Angabe von Durchschnittswerten oder einer „Weiterempfehlungsrate“ statistisch ausgewertet werden.
Durch die Aufnahme von Äußerungen Dritter in ein Hotelbewertungsportal werden fremde Tatsachenbehauptungen nicht im Sinne des § 4 Nr. [2] UWG „verbreitet„, sofern der Betreiber des Portals seine neutrale Stellung nicht aufgibt und spezifische Prüfungspflichten nicht verletzt. Der Betreiber verlässt seine neutrale Stellung nicht, wenn er Nutzerangaben statistisch auswertet oder einen Wortfilter sowie ggf. eine manuelle Nachkontrolle einsetzt, um die Einhaltung der Nutzungsbedingungen sicherzustellen. Spezifische Prüfungspflichten verletzt der Betreiber einer Internet-Bewertungsplattform erst, wenn er – nachdem er auf eine klare Rechtsverletzung hingewiesen worden ist – die betroffene Angabe nicht unverzüglich sperrt und keine Vorsorge trifft, dass sie auch zukünftig unterbleibt.

b. Problem: Relativierende Einschränkung & Distanzier­ung

Beim Vorliegen einer Distanzierung von einer verbreiteten Tatsachenbehauptung oder der relativierenden Einschränkung, beispielsweise durch die Nutzung von „wahrscheinlich“, „glaube“ oder „vermute“, ist auf den Gesamteindruck abzustellen.[7]

3. Eignung zur Schädigung des Betriebs oder Kredits

Zuletzt muss die unwahre Tatsachenbehauptung zur Schädigung des Betriebs oder Kredits des Mitbewerbers geeignet sein.

Eine Eignung zur Schädigung des Betriebs ist gegeben, wenn durch die Behauptung die unternehmerische Tätigkeit, insbesondere der Absatz oder Bezug negativ beeinträchtigt wird.[8]

Beispiele hierfür sind Behauptungen

  1. über negative Einflüsse oder Eigenschaft eines Produkts oder einer Dienstleistung,[9]
  2. über fehlende Lieferfähigkeit,[10]
  3. über ein rechtswidriges oder rechtlich fragwürdiges Verhalten, beispielsweise der Auszahlung von (verbotenen) Erfolgshonoraren,[11] oder nicht Einhaltung von DIN-Vorschriften.[12]

Eine Eignung zur Schädigung des Kredits liegt vor, wenn das Vertrauen in dessen Zahlungsfähigkeit und Zahlungswilligkeit beeinträchtigt wird.[13]

4. Ausnahme: Beweislastumkehr bei vertraulichen Mitteilungen (§ 4 Nr. 2 Hs. 2 UWG)

Nach (§ 4 Nr. 2 Hs. 2 UWG) besteht eine abweichende Beweislast für vertrauliche Mitteilungen unter der Voraussetzung eines berechtigten Interesses. Dann trägt der Anspruchsteller die Beweislast und es gilt keine Beweislastumkehr.

Eine Mitteilung ist vertraulich, wenn der Mitteilende davon ausgeht und den Umständen nach davon ausgehen kann, dass keine Weiterleitung an Dritte erfolgt. Die Beweislast trägt der Handelnde.[14]

Bei der Beurteilung des berechtigten Interesses ist eine Interessens­abwägung unter Berück­sichtigung des Verhältnis­mäßig­keits­grund­satzes erforderlich.

Nachweise

[1] Z.B. BGH GRUR 2009, 1186 (1187, Rn. 15) – Mecklenburger Obstbrände

[2] Vgl. BeckOK UWG/Weiler, 18. Ed. 1.10.2022, UWG § 4 Rn. 121 m.w.N.

[3] BGH NJW 1998, 1223 (1224, unter II.2.b.cc und dd.).

[4] Vgl. BeckOK UWG/Weiler, 18. Ed. 1.10.2022, UWG § 4 Rn. 138.

[5] Ohly/Sosnitza/Ohly, 7. Aufl. 2016, Anschwärzen Rn. 2/14 m.w.N.

[6] So z.B. BGH GRUR 2015, 1129 (1132, Rn. 30) – Hotelbewertungsportal.

[7] Zur relativierenden Einschränkung und zum Streitstand bzgl. der Verbreitung einer Tatsachenbehauptung durch eine Distanzierung hiervon vgl. BeckOK UWG/Weiler, 18. Ed. 1.10.2022, UWG § 4 Rn. 143, 144; a.A. bzgl. der Distanzierung MüKoUWG/Brammsen, 3. Aufl. 2020, UWG § 4 Nr. 2 Rn. 57.

[8] Z.B. BGH GRUR 2002, 633 (635, unter II.2.b.bb) – Hormonersatztherapie, wonach die Äußerung „geeignet erscheinen [muss], den Geschäftsbetrieb […] zu schädigen“, was gegeben ist, wenn ein erheblicher, „die Absatzchancen eines Präparats beeinträchtigende[r] Nachteil“ vorliegt.

[9] So BGH GRUR 2002, 633 (635, unter II.2.b.bb) – Hormonersatztherapie, zu einem negativen Einfluss auf Mammografiediagnostik.

[10] So BGH GRUR 1993, 572 (573, unter II.1) – Fehlende Lieferfähigkeit, welcher die Ansicht des BerGer. bestätigt, sodass die Behauptung der „fehlenden Möglichkeiten der Kl., sich mit C.-Zündkerzen zu Preisen, die unter denen des deutschen und europäischen Handels lägen, in großer Stückzahl einzudecken“, „geeignet erschein[t], die Seriosität der Kl. im Geschäftsverkehr in erheblichem Maß in Zweifel zu ziehen“.

[11] OLG Köln GRUR-RR 2011, 325 (327, unter 2.b) – Abmahnende Anwälte, wonach beim „angesprochenen Verkehr […] jedenfalls der Eindruck entstehen [muss], die Kostenforderungen seien in den meisten Fällen zwar nicht notwendig betrügerisch, aber doch rechtlich anzweifelbar“. Die Aus-sage stellt einerseits eine herabsetzende Behauptung und zugleich „eine nicht erweisliche Tatsache dar, die i.S. des § 4 Nr. [2] UWG geeignet ist, den Betrieb des Ast. zu schädigen, weil ihm hierdurch die Beitreibung der Forderungen erschwert wird“.

[12] OLG Hamburg NJOZ 2007, 5184, wonach die Tatsache, dass „die Äußerung für die Ast. belastend und geschäftsschädigend ist, […] auf der Hand liegt“.

[13] Vgl. BeckOK UWG/Weiler, 18. Ed. 1.10.2022, UWG § 4 Rn. 156-156.1 mit zahlreichen Beispielen.

[14] So Köhler/Bornkamm/Feddersen/Köhler, 41. Aufl. 2023, UWG § 4 Rn. 2.22; Ohly/Sosnitza/Ohly, 7. Aufl. 2016, Anschwärzen Rn. 2/17; jeweils m.w.N.

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