G. Unzulässigkeit nach § 3 I UWG i.V.m. § 5 I UWG (Irreführende geschäftliche Handlungen)

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§ 5 UWG dient dem Schutz von Verbrauchern, sonstigen Abnehmern, Mitbewerbern und der Allgemeinheit vor Irreführung durch unwahre Angaben oder sonstigen (somit wahren), zur Täuschung geeignete Angaben über bestimmte Umstände und somit dem Wahrheitsgebot.

Die Unzulässigkeit nach § 3 I UWG i.V.m. § 5 I UWG kann nach folgendem Schema geprüft werden:

  1. Vorliegen einer Angabe
  2. Irreführung
    1. Feststellung des maßgeblichen Verkehrskreises
    2. Verständnis des durchschnittlich informierten und situationsadäquat aufmerksamen Verkehrsteilnehmers
    3. Keine Übereinstimmung des Verständnisses mit der Realität
  3. Relevanz der Irreführung und (beim Vorliegen besonderer Anhaltspunkte) Interessenabwägung

Die Irreführung durch Unterlassen wird in § 5a, 5b UWG geregelt und unter 06.H behandelt.

§ 5 I, II UWG | Aggressive geschäftliche Handlungen
Unlauter handelt, wer eine irreführende geschäftliche Handlung vornimmt, die geeignet ist, den Verbraucher oder sonstigen Marktteilnehmer zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er andernfalls nicht getroffen hätte.
Eine geschäftliche Handlung ist irreführend, wenn sie unwahre Angaben enthält oder sonstige zur Täuschung geeignete Angaben über folgende Umstände enthält: […]

  i  

Zu beachten sind darüber hinaus aus dem Anhang des UWG die Nr. 1 – 23c.

1. Vorliegen einer Angabe

§ 5 UWG erfordert eine objektiv wahre oder objektiv unwahre Tatsachenbehauptungen.

Werturteile sind dagegen durch das Element des Wertens, insbesondere der Stellungnahme und des Dafürhaltens gekennzeichnet.[1]

Das Werturteil oder Tatsachenurteil muss über einen Mitbewerber sein und eine geschäftliche Handlung darstellen.

a. Problem: Abgrenzung zu Werturteilen

Tatsachen sind Vorgänge oder Zustände, deren Vorliegen oder Nichtvorliegen dem Wahrheitsbeweis zugänglich ist.[2]

Mangels nachprüfbaren Informationsgehalts sind reine Werturteile nicht nach § 5 I UWG unlauter.[3]

Eine Unlauterkeit kann sich ergeben, wenn das Werturteil einen Tatsachenkern besitzt, beispielsweise wenn

  1. Tatsachenbehauptungen zur Begründung hinzugefügt werden,
  2. wenn der Verkehr das Werturteil als eine objektiv nachprüfbare Aussage bestimmten Inhalts versteht oder
  3. wenn der Tatsachenkern dem Unternehmer zugerechnet wird.[4]

b. Problem: Angaben im Rahmen vergleichender Werbung (§ 5 III Nr. 1, IV UWG)

Angaben im Rahmen vergleichender Werbung sind ausschließlich nach § 5 UWG zu beurteilen. Wird die Irreführung verneint, scheidet eine Unlauterkeit nach § 6 II UWG aus.[5]

c. Problem: Täuschung in irgendeiner Weise ohne Angabe | Richtlinienkonforme Reduktion

Nach Art. 6 I UGP-RL ist eine Geschäftspraxis nicht nur irreführend, „wenn sie falsche Angaben enthält und somit unwahr ist“, sondern auch dann, „wenn sie in irgendeiner Weise, einschließlich sämtlicher Umstände ihrer Präsentation, selbst mit sachlich richtigen Angaben […] täuscht.

Entsprechend muss § 5 UWG ggbf. richtlinienkonform reduziert werden.

2. Irreführung

Eine Angabe ist irreführend i.S.d. § 5 UWG, wenn sie beim angesprochenen Verkehrskreis die Wirkung einer unzutreffenden Angabe erzeugt.[6]

a. Feststellung des maßgeblichen Verkehrskreises

Zunächst ist der maßgebliche Verkehrskreis zu bestimmen, gegenüber welchem eine Irreführung gegeben sein könnte.

Allein der von der geschäftlichen Handlung angesprochene Verkehrskreis unter Berücksichtigung dessen durchschnittlichen Bildungsgrads, Fachkunde, Aufmerksamkeit und Beurteilungsvermögen ist für die Beurteilung der Unlauterkeit bzw. dem Sinn und der Bedeutung der Werbeaussage ausschlaggebend.

b. Verständnis des durchschnittlich informierten und situationsadäquat aufmerksamen Verkehrsteilnehmers

Als Verständnis des Verkehrskreises ist vom europäischen Verbraucherleitbild auszugehen, somit von einem durchschnittlich bzw. angemessen informierten und verständigen bzw. angemessenen aufmerksamen und kritischen Verbraucher.[7]

Nach der Rechtsprechung kann die Irreführung auch ohne Beweiserhebung auf Grundlage richterliche Sachkunde und Lebenserfahrung entschieden werden, sofern der entscheidende Richter dem Verkehrskreis angehört.[8]

BGH GRUR 1984, 467 – Das unmögliche Möbelhaus
Das BerGer. hat die im Streitfall maßgebliche Verkehrsauffassung aufgrund eigener Sachkunde festgestellt. Dies begegnet rechtlichen Bedenken. Zwar entspricht es ständiger Rechtsprechung, daß der Richter zur Beurteilung der Frage, welchen Sinn der Verkehr einer bestimmten Werbebehauptung beilegt, ausreichend sachkundig ist, wenn er – wie hier vom BerGer. bejaht – selbst zu dem angesprochenen Verkehrskreis gehört und es sich um Angaben über Gegenstände des allge­meinen Bedarfs handelt […]. Liegen insoweit aber Umstände vor, die eine bestimmte Auffassung als bedenklich erscheinen lassen, sind gleichwohl alle Beweismittel auszuschöpfen […]

c. Keine Übereinstimmung des Verständnisses mit der Realität

Das Verständnis des maßgeblichen Verkehrskreises muss mit der Realität nicht übereinstimmen, was vorliegen kann, wenn die Angabe

  1. einen irreführenden Eindruck hervorruft,
  2. ein bereits bestehendes falsches Verständnis vertieft oder
  3. zunächst nicht irreführend ist, aber im Laufe der Zeit irreführend wird.[9]

3. Relevanz der Irreführung und (beim Vorliegen besonderer Anhaltspunkte) Interessenabwägung

Eine Irreführung ist erst dann unlauter, wenn sie geeignet ist, einen erheblichen Teil der angesprochenen Ver­kehrskreise zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er andernfalls nicht getroffen hätte (Relevanz der Irreführung).

  !  

Ob das Erfordernis der Eignung zur Täuschung nur für unwahre Angaben oder auch für „sonstige Angaben“ gilt, ergibt sich nicht aus dem Wortlaut. Der BGH hat diese Frage ausdrücklich offengelassen, da sich diese Frage nur in dem Fall stelle, „in dem eine unwahre Angabe nicht zur Täuschung der Verbraucher geeignet ist, weil diese ihre Unwahrheit erkennen“.[10]

Die Unlauterkeit einer irreführenden Angabe steht unter dem Vorbehalt einer Interessenabwägung als Ausdruck des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, was insbesondere zu beachten ist, beispielsweise wenn

  1. wahre Angaben objektiv unzutreffend von den Verkehrskreisen verstanden werden,[11] wobei im Rahmen der Interessenabwägung insbesondere zu berücksichtigen ist, ob der Werbende dieses Fehlverständnis bewusst herbeigeführt hat,[11a]
  2. ein besonderes Interesse an der Information und eine geringe Intensität der Irreführung vorliegt,
  3. nur bei einer relevanten Minderheit eine Irreführung vorliegt,
  4. ein anerkennenswertes Interesse an der (Weiter-)Verwendung des Begriffs besteht, ohne dass nachhaltige Belange der Allgemeinheit und Mitbewerber betroffen sind,
  5. es während einer Übergangszeit nach einer Gesetzesänderung zu einer Irreführung kommt.[12]

4. Überblick: Erscheinungsformen von Irreführungen

Der nachfolgende Überblick beschränkt sich auf einzelne Erscheinungsformen von Irreführungen, unabhängig des Umstands der Irreführung.

Zu beachten sind bei nicht unwahren Angaben die in § 5 II Nr. 1 – 7, III Nr. 1 – 2 UWG erwähnten Umstände.

ErscheinungsformEinordnungBeispiele bzw. Auslegungsfaktoren
Unwahre AngabenIn der Regel als Verstoß gegen die Wahrheitspflicht unlauterUnwahre Angaben über Produkt, Testergebnisse, Dimension der Verpackung in Vergleich zur Füllmenge
Unklare, mehrdeutige oder missverständliche AngabenUnbewusste unklare Vorstellung (sog. verdeckte Unklarheit) und unwahre Vorstellung bei einem erheblichen Teil des Verkehrs gehen zulasten des HandelndenSinn, Bedeutung einer Angabe oder darin verwendeter Begriff, Bezugspunkt von Angaben (z.B. verfügbare Produktmenge)
Unvollständige AngabenMangels „Gebot der Vollständigkeit von Werbeangaben“ ohne das Vorliegen von Aufklärungs-, Informationspflichten oder besondere Umstände nicht unlauterAufklärungspflichten bzw. Informationspflichten wie z.B. PAngV, Art. 246a EGBGB oder Angaben zum Schutz von Verbrauchern
Übertreibende AngabenUnlauter, wenn geschäftliche Entscheidung „unsachlich“ beeinflusst wirdGröße, Seriosität und Bedeutung des Unternehmens bzw. der Angabe, in der Regel nicht bei Satire etc.
BlickfangwerbungWird ein Teil einer Werbung (Blickfang) losgelöst vom sonstigen Inhalt wahrgenommen, muss dieser Teil als solches wahr sein, weil bereits diese Anlockwirkung den Adressaten veranlasst sich mit dem Angebot näher zu beschäftigen und somit eine konkrete Irreführungsgefahr begründen kann. Die nachfolgende Richtigstellung einer objektiv unrichtigen Angabe scheidet aus, jedoch kann eine unklare Angabe korrigiert bzw. klargestellt werden, wenn sich aus den Angaben des Blickfangs (z.B. Sternchenzeichen) oder der Erwartung des Adressaten (z.B. keine Lieferung am Sonntag) die Unvollständigkeit ergibt.[12a]
Angaben über Spitzenstellung oder mit AlleinstellungsmerkmalZulässig, wenn die Angabe wahr ist und ein deutlicher, merklicher, zeitli-cher und nachweisbarer Vorsprung besteht.Inhaltlich überprüfbare und inhaltliche Aussagen wie „meistverkaufte“, „größte“ oder „schnellste“
Nicht dahingegen subjektive Angaben wie „beste“ oder „bessere“ (str.), „schönste“ oder „intuitivste“
Angaben mit Äußerungen bzw. Bewertungen DritterUnlauterkeit, wenn Angabe zu eigen gemacht wird und Angabe
  1. nicht mehr aktuell ist
  2. wissenschaftlichen Angaben nicht genügt
  3. zugunsten des werbenden verändert wurde, unzutreffend oder in einem anderen Kontext wiedergibt
  4. durch Sortierung, Aussortierung oder Darstellung irreführend dar-stellt
Werben mit alten Testergebnissen oder Teilen von Testergebnissen
Einschränken oder Aussortieren von neutralen oder negativen Bewertungen (z.B. durch Schlichtungsverfahren) oder Anordnung und Werben mit „garantiert echten Meinungen“
Behauptung einer nicht bestehenden RechtslageDie Behauptung einer nicht bestehenden Rechtslage ist eine Angabe i.S.d. § 5 II UWG, wenn sie als Feststellung und nicht als Rechtsansicht verstanden wird.Angaben in Rechnung oder Vertragsbestätigen, sofern sie der Verbraucher als eine Feststellung versteht,[13] nicht dahingegen die Zurückweisung eines Widerrufs, mit der Aussage, dass dieser „nicht möglich“ ist, wenn die Klägerin das „ursprüngliche[…] Vertragsangebot bezüglich der Honorierung eigenhändig abgeändert und [dem Beklagten] ein neues Angebot unterbreitet“ hat.[14]
Fachliche Aussagen auf dem Gebiet der gesundheitsbezogenen WerbungEine Unlauterkeit besteht, wenn die Angabe
  1. nicht der gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnis entspricht,
  2. mit einer umstrittenen Meinung wirbt und Gegenmeinung nicht erwähnt, oder
  3. bei Bezugnahme auf unveröffentlichte Studien nicht darauf hingewiesen wird, dass diese nicht veröffentlicht wurde.[15]
Es gelten besonders hohe Anforderungen an die Richtigkeit, Eindeutigkeit und Klarheit von Aussagen, die durch die Bedeutung des Rechtsguts Gesundheit und die hohe Werbewirksamkeit gesundheitsbezogener Aussagen gerechtfertigt werden. Neben Medikamenten sind auch Kosmetikprodukte wie Sonnencreme erfasst, wenn sie eine Schutzwirkung für die menschliche Haut entfalten sollen.[16]

Nachweise

[1] Z.B. BGH GRUR 2009, 1186 (1187, Rn. 15) – Mecklenburger Obstbrände.

[2] Z.B. BGH GRUR 2009, 1186 (1187, Rn. 15) – Mecklenburger Obstbrände.

[3] BeckOK UWG/Rehart/Ruhl/Isele, 18. Ed. 1.10.2022, UWG § 5 Rn. 53.

[4] Vgl. Köhler/Bornkamm/Feddersen/Bornkamm/Feddersen, 41. Aufl. 2023, UWG § 5 Rn. 1.26.

[5] Ausführlich Ohly/Sosnitza/Sosnitza, 7. Aufl. 2016, UWG § 5 Rn. 99-102.

[6] Vgl. Ohly/Sosnitza/Sosnitza, 7. Aufl. 2016, UWG § 5 Rn. 105 m.w.N.

[7] Vgl. BeckOK UWG/Rehart/Ruhl/Isele, 18. Ed. 1.10.2022, UWG § 5 Rn. 98-101.

[8] Ausführlich und m.w.N. Ohly/Sosnitza/Sosnitza, 7. Aufl. 2016, UWG § 5 Rn. 137.

[9] BeckOK UWG/Rehart/Ruhl/Isele, 18. Ed. 1.10.2022, UWG § 5 Rn. 137 m.w.N.

[10] Vgl. BGH NJW-RR 2022, 1202 (1203, Rn. 15) = GRUR 2022, 925 (927, Rn. 15) – Webshop Awards.

[11] BeckOK UWG/Rehart/Ruhl/Isele, 18. Ed. 1.10.2022, UWG § 5 Rn. 154 f.

[11a] Vgl. OLG Hamburg GRUR 2024, 111 – Sonnenschutzcreme.

[12] Ohly/Sosnitza/Sosnitza, 7. Aufl. 2016, UWG § 5 Rn. 218 ff. m.w.N. und weiteren Fallgruppen.

[12a] Vgl. Ohly/Sosnitza/Sosnitza, 8. Aufl. 2023, UWG § 5 Rn. 143 f., BGH GRUR 2012, 81 – Innerhalb 24 Stunden.

[13] Vgl. BGH GRUR 2023, 643 (646, Rn. 33) – Basic-Phone-Vertrag.

[14] So OLG Köln BGH GRUR 2023, 648 (649 f., Rn. 34 ff.) – Erben-Ermittlung.

[15] OLG Karlsruhe GRUR-RR 2023, 364 – familienpsychologische Gutachten m.w.N. zur stRspr.

[16] OLG Hamburg GRUR 2024, 111 (116, Rn. 52) – Sonnenschutzcreme m.w.N.

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