C. Anspruch auf Herausgabe von Beweismitteln und Erteilung von Auskünften nach § 33g I GWB bzw. § 33g II 1 GWB

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Sowohl demjenigen, der einen Schadensersatzanspruch erheben will (§ 33g I GWB), als auch demjenigen, der sich gegen einen auf Schadensersatz gerichteten Anspruch verteidigt (§ 33g II 1 GWB), kann ein Anspruch auf Herausgabe der erforderlichen Beweismittel und Erteilung von Auskünften zustehen.

Der Anspruch auf Herausgabe von Beweismitteln und Erteilung von Auskünftigen nach § 33g I bzw. § 33g II 1 GWB kann in folgenden Schritten geprüft werden

  1. Erforderliche Beweismittel für die Erhebung (§ 33g I GWB) oder Verteidigung (§ 33g II 1 GWB)
  2. Aktivlegitimation: Glaubhaftmachen eines Schadensersatzanspruchs nach § 33a I GWB [§ 33g I GWB] oder rechtshängiger Rechtsstreit gegen über einen Anspruch nach § 33a I GWB oder § 33g I GWB [§ 33g II 1 GWB]
  3. Passivlegitimation: Besitzer der Beweismittel
  4. Kein Ausschluss nach § 33g III – V GWB
  5. Kein Verweigerungsrecht nach § 33g VI GWB

1. Erforderliche Beweismittel für die Erhebung (§ 33g I GWB) oder Verteidigung (§ 33g II 1 GWB)

Grundvoraussetzung ist das Vorliegen „erforderlicher“ Beweismittel.

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Dahingegen erfordert Art. 5 I RL 2014/104/EU das Vorliegen von „relevanten Beweismitteln“, sodass eine richtlinienkonforme Auslegung erforderlich ist.

Die gestellten Anträge müssen geeignet sein, den Antragsteller in die Lage zu versetzten, den Schadensersatzanspruch zu begründen[1] bzw. sich hiergegen zu verteidigen.

Hierzu zählen Tatbestandsvoraussetzungen des Kartellrechtsverstoßes und die Passivlegitimation des Gegners des Anspruchs auf Schadensersatz, nicht jedoch die Hö­he des Schadens.[2]

2. Aktivlegitimation

Aktivlegitimiert ist sowohl nach § 33g I GWB derjenige, der einen Schadensersatzanspruch glaubhaft macht, als auch nach § 33g II 1 GWB derjenige, der sich gegen einen rechtshängigen Anspruch nach § 33a I GWB oder § 33g I GWB verteidigt. Die Beweismittel müssen hierbei „so genau bezeichnet [werden], wie dies auf Grundlage der mit zumutbarem Aufwand zugänglichen Tatsachen möglich ist“.

a. Glaubhaftmachen eines Schadensersatzanspruchs nach § 33a I GWB

Die Voraussetzungen der Glaubhaftmachung ergeben sich nicht aus dem Wortlaut der Norm und wurden vom BGH präzisiert.

Eine Glaubhaftmachung i.S.d. § 33g I GWB erfordert, dass der Anspruch schlüssig dargelegt ist und aufgrund konkreter Anhaltspunkte eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür spricht, dass der Kläger Inhaber eines solchen Ersatzanspruches ist.[3]

Dies begründet der BGH

  1. mit der richtlinienkonformen Auslegung des auf Art. 5 I der RL 2014/104/EU beruhenden und nach den Erwägungsgründen 14 f. der Waffengleichheit dienenden Vorschrift,
  2. mit dem Wortlaut, der keine überwiegende Wahrscheinlichkeit erfordert,
  3. mit der Tatsache, dass es sich um eine materiellrechtliche und nicht zivilprozessuale Voraussetzung handelt, die gegen die Anwendung des § 294 ZPO spricht, und
  4. mit einem Vergleich der Vorlage- und Besichtigungsansprüche bei Schutzrechtsverletzungen nach § 19a I MarkenG, § 140c I PatG, § 24c I GebrMG, § 46a I DesignG.[4]

Der „Befürchtung“ des ungerechtfertigten Zugangs zu Geschäftsgeheimnissen hält der BGH die Ausschluss- und Verweigerungsgründe nach § 33g III – VI GWB entgegen.[5]

Zuvor waren die Voraussetzungen einer Glaubhaftmachung in der Literatur und Rechtsprechung umstritten. Teilweise wurde in der Literatur (und auch vom 1. Kartellsenat des OLG Frankfurt a. M.) vertreten, dass in Anlehnung an § 294 ZPO ein Schadensersatzanspruch überwiegend wahrscheinlich sein muss.[6] Wie Beweis erhoben werden soll, wurde unterschiedlich beurteilt.

b. Rechtshängiger Rechtsstreit gegenüber einem Anspruch nach § 33a I GWB oder § 33g I GWB

Aktivlegitimiert nach § 33g II 1 GWB ist derjenige, gegen den ein Rechtsstreit über einen Anspruch nach § 33a I GWB oder § 33g I GWB rechtshängig ist.

3. Passivlegitimation

Passivlegitimiert ist derjenige, der die erforderlichen bzw. relevanten Beweismittel besitzt.

4. Kein Ausschluss nach § 33g III – V GWB

§ 33g III – V GWB sieht mehrere Ausschlussgründe der Herausgabe nach § 33g I GWB oder § 33g II 1 GWB vor, darunter

  1. die Unverhältnismäßigkeit unter Berücksichtigung der berechtigten Interessen der Beteiligten,
  2. die Herausgabe von Dokumenten oder Aufzeichnungen einer Kronzeugenerklärung oder von Vergleichsausführungen,
  3. Beweismittel mit eigens für das wettbewerbsbehördliche Verfahren erstellten Informationen, Mitteilungen der Wettbewerbsbehörde an die Beteiligten in dem Verfahren und Vergleichsausführungen, die zurückgezogen wurden.

5. Kein Verweigerungsrecht nach § 33g VI GWB

Zudem kann die Herausgabe von Beweismitteln verweigert werden, soweit der Besitzer im Rechtsstreit des Schadensersatzes nach § 383 I Nr. 1 – 6 ZPO oder § 384 Nr. 3 ZPO zur Zeugnisverweigerung berechtigt wäre.

6. Rechtsfolgen und Folgeansprüche

Der Herausgabeanspruch erfasst alle relevanten Beweismittel, für die ein Antrag gestellt wurde.

Der nach § 33g I, II GWB Verpflichtete hat nach § 33g VII GWB einen Aufwendungsersatzanspruch. Im Fall der vorsätzlich oder grob fahrlässig falschen, unvollständigen oder fehlerhaften Auskunftserteilung oder Beweisherausgabe ist der nach § 33g I, II GWB Verpflichtete nach § 33g VIII GWB zum Schadensersatz verpflichtet.

Nachweise

[1] BGH, Urt. v. 04.04.2023 – KZR 20/21 (Rn. 111) – Vertriebskooperation im SPNV m.w.N.

[2] Zur Schadenshöhe BGH, Urt. v. 04.04.2023 – KZR 20/21 (Rn. 112) – Vertriebskooperation im SPNV.

[3] BGH, Urt. v. 04.04.2023 – KZR 20/21 (Rn. 46) – Vertriebskooperation im SPNV.

[4] BGH, Urt. v. 04.04.2023 – KZR 20/21 (Rn. 51 ff.) – Vertriebskooperation im SPNV.

[5] BGH, Urt. v. 04.04.2023 – KZR 20/21 (Rn. 56) – Vertriebskooperation im SPNV.

[6] Vgl. die Darstellung in BGH, Urt. v. 04.04.2023 – KZR 20/21 (Rn. 48) – Vertriebskooperation im SPNV m.w.N.

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