D. Schadensersatzanspruch nach § 139 II 1 PatG und Art. 68 I EPGÜ

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Nach § 139 II 1 PatG ist derjenige, der vorsätzlich oder fahrlässig entgegen den §§ 9 bis 13 PatG eine patentierte Erfindung zum Ersatz des daraus entstandenen Schadens verpflichtet. Anspruchsgrundlage ist hierbei

  1. bei nationalen Patenten § 139 II 1 PatG i.V.m. der konkret verletzen Norm,
  2. bei europäischen Patenten Art. 2 II, 64 III EPÜ i.V.m. § 139 II 1 PatG i.V.m. der konkret verletzen Norm und
  3. bei europäischen Patenten mit einheitlicher Wirkung (Einheitspatent) nach Art. 68 I EPGÜ.

Der Unterlassungsanspruch bzw. Beseitigungsanspruch nach § 139 I 1 PatG bzw. § 139 I 2 PatG kann nach folgendem Schema geprüft werden

  1. Bestand des Klagepatents
    1. Erteilung & Veröffentlichung (Art. 97 I, 98 EPÜ, §§ 49 I, 58 I PatG)
    2. Kein Ablauf der Schutzfrist (Art. 63 I EPÜ, § 16 PatG)
    3. Kein Erlöschen des Patents (Art. 62, 86 EPÜ, §§ 20 I Nr. 1 – 3, 37 PatG)
  2. Aktivlegitimation (§ 139 I 1 PatG)
  3. Eingriff in den Schutzbereich des Patents
    1. Betroffenheit des Schutzbereichs des Patents
    2. Verletzung des Schutzbereichs
  4. Rechtswidrigkeit der Patentverletzung
  5. Schranken und Einwendungen
  6. Passivlegitimation & Verschulden
  7. Entstandener Schaden

§ 139 II 1 PatG
Wer die Handlung vorsätzlich oder fahrlässig vornimmt, ist dem Verletzten zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet.

Art. 68 I EPGÜ | Zuerkennung von Schadenersatz
Das Gericht ordnet auf Antrag der geschädigten Partei an, dass der Verletzer, der wusste oder vernünftigerweise hät-te wissen müssen, dass er eine Patentverletzungshand-lung vornahm, der geschädigten Partei zum Ausgleich des von ihr wegen der Verletzung erlittenen tatsächlichen Schadens angemessenen Schadenersatz zu leisten hat.

1. Bestand des Klagepatents

Grundvoraussetzung des Schadensersatzanspruchs ist, dass ein Patent angemeldet und erteilt ist, somit eine patentierte Erfindung vorliegt. Erforderlich ist folglich, dass (a) das Patent erteilt wurde und weder (b) abgelaufen, noch (c) erloschen ist.

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Nicht zu prüfen sind die Erteilungsvoraussetzungen nach Art. 52 ff. EPÜ und §§ 1 ff. PatG.

a. Erteilung und Veröffentlichung (Art. 97 I, 98 EPÜ, §§ 49 I, 58 I PatG)

Der Patentschutz beginnt mit der Erteilung und Veröffentlichung des Patents (Art. 97 I, 98 EPÜ, §§ 49 I, 58 I PatG).

Wird ein Patent

  1. (teilweise) widerrufen (Art. 101 EPÜ, § 21 I PatG) oder
  2. für nichtig erklärt (Art. 65 EPGÜ, Art. 2 II 6 IntPatÜbkG, § 22 I PatG)

gilt die Wirkung des Patents und der Anmeldung als von Anfang an nicht eingetreten (§ 21 III 1 PatG, § 22 II PatG i.V.m. § 21 III 1 PatG), sodass von Anfang an kein Patent und Beseitigungs- und Unterlassungsanspruch besteht.

b. Kein Ablauf der Schutzfrist (Art. 63 I EPÜ, § 16 PatG)

Erforderlich ist weiter, dass zum Zeitpunkt der Verletzung die Schutzfrist des Patents (Art. 63 I EPÜ, § 16 PatG) nicht abgelaufen ist. Nach Ablauf der Schutzfrist bleiben auf während der Schutzfrist begangenen Verletzungen gegründete Ansprüche bestehen.[2]

c. Kein Erlöschen des Patents (Art. 62, 86 EPÜ, §§ 20 I Nr. 1 – 2 PatG)

Zuletzt darf das Patent nicht erloschen sein (Art. 62, 86 EPÜ, §§ 20 I Nr. 1 – 2 PatG).

2. Aktivlegitimation (§ 139 II 1 PatG)

Aktivlegitimiert ist nach § 139 II 1 PatG der „Verletzte“, bei dem es sich um den im Register eingetragenen Patentinhaber und den ausschließlichen Lizenznehmer, soweit sein Nutzungsrecht berührt ist, handeln kann. Patentinhaber und Lizenznehmer sind jeweils aktivlegitimiert und nicht Mitgläubiger.[3] Mehrere Patentinhaber bilden eine Bruchteilsgemeinschaft nach § 741 BGB und können jeweils im eigenen Namen auf Schadensersatz an alle klagen.[4] Auch Nießbraucher, Pfandgläubiger und Pfändungspfandgläubiger können aktivlegitimiert sein.[5]

Nicht aktivlegitimiert sind einfache Lizenznehmer. Der Schadensersatzanspruch kann nicht abgetreten werden, der Schadensersatzanspruch jedoch im Rahmen einer gewillkürten Prozessstandschaft geltend gemacht werden.[6]

3. Eingriff in den Schutzbereich des Patents

a. Betroffenheit des Schutzbereichs des Patents

→ Hauptartikel:  IP-01.C.I. Die Betroffenheit des Schutzbereichs eines Patents

Der Schutzbereich eines Patents ist bei der wortsinngemäßen und äquivalenten Ausführung des Patents gegeben, wofür zunächst der Schutzbereich zu bestimmen und stets auszulegen ist. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass Unteransprüche den Schutzbereich nicht einengen können, auch Zahlenangaben der Auslegung zugänglich sind und die Patentschrift ihr „eigenes Lexikon“ bildet.

Während eine wortsinngemäße Ausübung des Patents erfordert, dass alle (ausgelegten) Merkmale des Patent­anspruchs erfüllt sind, kann auch dann, wenn einzelne Merkmale des Patents äquivalent ausgeübt werden, der Schutzbereich des Patents betroffen sein.

Eine äquivalente Ausführung erfordert das Vorliegen einer gleichen oder wesentlich gleichen Wirkung (Gleich­wirkung), deren Auffindbarkeit durch einen Durchschnittsfachmann und die Gleichwertigkeit dieser unter Orientierung des Sinngehalts der Erfindung.

b. Verletzung des Schutzbereichs

→ Hauptartikel:  IP-01.C.II. Die Verletzung eines Patents

Weiter ist die unmittelbare (§ 9 PatG) oder mittelbare (§ 10 PatG) Verletzung des Patents erforderlich,

Bei der unmittelbaren Patentverletzung ist zwischen der Verletzung von

  1. Erzeugnispatenten durch Herstellung, Anbieten, Inverkehrbringen, Gebrauch, Einfuhr oder Besitz (§ 9 1 Nr. 1 PatG),
  2. Verfahrenspatenten durch Anwendung oder Anbieten (§ 9 1 Nr. 2 PatG),
  3. Verfahrenspatenten durch das Anbieten, in Verkehr brin¬gen oder hierfür einführen oder besitzen der durch das Patent unmittelbar hergestellten Erzeugnisse (§ 9 1 Nr. 3 PatG).

Zu problematisieren ist hierbei, ob bei der Herstellung und des Vertriebs von Teilen einer patentieren Gesamtvorrichtung eine unmittelbare Patentverletzung vorliegt und die Abgrenzung zwischen der erlaubten Reparatur und der patentverletzenden Neuherstellung.

Eine mittelbare Patentverletzung kann in objektive und subjektive Voraussetzungen unterteilt werden und beinhaltet in Absatz 2 eine Ausnahme und hiervon wiederum eine Rückausnahme.

Eine mittelbare Patentverletzung kann nach folgendem Schema geprüft werden

  1. Objektive Voraussetzungen
    1. Angebot oder Lieferung von Mittel, die sich auf ein wesentliches Element der Erfindung beziehen
    2. an Nichtberechtigte
    3. zur Benutzung im Inland
  2. Subjektive Voraussetzungen: Wissen oder Offensichtlichkeit
  3. Kein Ausschluss nach § 10 II PatG

Zu berücksichtigen ist hierbei, dass § 10 III PatG den erfassten Personenkreis erweitert, sowie eine mögliche Prüfung der Erschöpfung im Rahmen des Angebots oder der Lieferung an einen Nichtberechtigten.

4. Rechtswidrigkeit der Patentverletzung

Der Rechtswidrigkeit der Patentverletzung kann die Zustimmung des Patentinhabers in Rahmen eines Lizenzvertrags oder einer Lizenzbereitschaftserklärung entgegenstehen.

5. Schranken und Einwendungen

→ Hauptartikel:  IP-01.C.IV. Schranken und Einwendungen

Die Reichweite des Patentschutzes wird nach den §§ 11 ff. PatG und der Rechtsprechung in Form von Schranken und Einwendungen eingeschränkt, darunter

  1. Handlungen nach § 11 Nr. 1 bis 6 PatG,
  2. das Vorbenutzungsrecht nach § 12 I 1 PatG,
  3. die staatliche Benutzungsanordnung nach § 13 PatG,
  4. die Erschöpfung von Patenten,
  5. Zwangslizenzen nach § 24 PatG und der kartellrechtlicher Zwangslizenzeinwand sowie
  6. der sog. Formstein-Einwand.

Daneben ist die Verjährung von Ansprüchen zu berücksichtigen, für die nach § 141 PatG die Vorschriften des BGH entsprechend Anwendung finden.

6. Passivlegitimation

Passivlegitimiert ist derjenige, der

  1. unmittelbar durch Vornahme einer der in § 9 PatG umschriebenen Handlungen,
  2. mittelbar nach § 10 PatG oder als
  3. Anstifter oder Gehilfe (§ 830 II BGB)

das Patent verletzt.

Während nach § 139 II 1 PatG die patentverletzende Handlung vorsätzlich oder fahrlässig vorgenommen worden sein muss, erfordert Art. 68 I EPÜ, dass der Verletzer wusste oder vernünftigerweise hätte wissen müssen, dass er eine Patentverletzungshandlung vornahm. Hierfür besteht ein Karenzmonat bzw. eine einmonatlich Überprüfungsfrist ab dessen Bekanntmachung im Patentblatt.[7]

Nach Art. 68 IV EPGÜ kann auch ohne Verschulden, die Herausgabe der Gewinne oder die Zahlung einer Entschädigung angeordnet werden.

Art. 68 IV EPGÜ | Zuerkennung von Schadenersatz
Für Fälle, in denen der Verletzer die Verletzungshandlung vorgenommen hat, ohne dass er dies wusste oder vernünftigerweise hätte wissen müssen, kann das Gericht die Herausgabe der Gewinne oder die Zahlung einer Entschädigung anordnen.

7. Entstandener Schaden und Umfang des Schadens

Der Schadensersatz soll den Geschädigten in die Lage versetzten, in der er sich ohne das schädliche Verhalten befunden hatte.

Der Schaden für einen Schadensersatzanspruch nach § 139 II 1 PatG kann berechnet werden

  1. auf Grundlage des tatsächlichen bewiesenen Schadens,
  2. unter Berücksichtigung des Gewinns, den der Verletzer durch die Verletzung erzielt hat (§ 139 II 2 PatG), oder
  3. auf Grundlage des Betrags, den der Verletzer als angemessene Vergütung hätte entrichten müssen.

Wird der Schaden auf Grundlage des vom Verletzer erzielten Gewinns berechnet, sind grundsätzlich alle Gewinne zu berücksichtigten, die mit der Verletzung des Patents in ursächlichem Zusammenhang stehen, wozu auch Zusatzgeschäfte wie Wartungsverträge, Verbrauchsmaterial und Ersatzteile zählen, die selbst keine Patent­benutzung i.S.d. § 9 PatG und § 10 PatG darstellen.[8]

Besonderheiten gelten für Verletzungshandlungen, die erst oder zusätzlich nach dem Erlöschen des Patents zu einem Schaden geführt haben. Nach der Rechtsprechung des BGH sind bei der Berechnung des Schadens auch Vorgänge zu berücksichtigen, die erst nach dem Erlöschen des Patents eingetreten sind, was nicht zu einer zeitlichen Erweiterung des Patentschutzes führe, während eine Begrenzung „dem Gebot [widerspräche], dem verletzten Rechtsinhaber Kompensation für alle Vermögensnachteile zu gewähren, die ihm aufgrund der Verletzungshandlungen entstanden sind“.[9]

Die Festsetzung des Schadensersatzes für das Einheitspatent regelt

Art. 68 III EPGÜ | Zuerkennung von Schadensersatz 
Bei der Festsetzung des Schadenersatzes verfährt das Gericht wie folgt:

  1. Es berücksichtigt alle in Frage kommenden Aspekte, wie die negativen wirtschaftlichen Auswirkungen, einschließlich der Gewinneinbußen für die geschädigte Partei und der zu Unrecht erzielten Gewinne des Verletzers, sowie in geeigneten Fällen auch andere als wirtschaftliche Faktoren, wie den immateriellen Schaden für die geschädigte Partei, oder
  2. es kann stattdessen in geeigneten Fällen den Schadensersatz als Pauschalbetrag festsetzen, und zwar auf der Grundlage von Faktoren wie mindestens dem Betrag der Vergütung oder Gebühr, die der Verletzer hätte entrichten müssen, wenn er die Erlaubnis zur Nutzung des betreffenden Patents eingeholt hätte.

Nachweise

[1] Vgl. Haedicke/Timmann, Handbuch des Patentrechts, 2. Auflage 2020, § 1 Rn. 53.

[2] Benkard PatG/Grabinski/Zülch/Tochtermann, 12. Aufl. 2023, PatG § 139 Rn. 2.

[3] Vgl. im Detail BGH GRUR 2008, 896 – Tintenpatrone; BGHZ 192, 245 – Tintenpatrone II.

[4] BeckOK PatR/Pitz, 30. Ed. 15.10.2023, PatG § 139 Rn. 18 m.w.N.; zur Bruchteilsgemeinschaft z.B. OLG Düsseldorf, Urt. v. 25.10.2018 – 2 U 30/16 (unter II.D.2.f.(2)) – Papierrollensäge; LG Düsseldorf, Urt. v. 31.01.2023 – 4c O 53/21 (unter C.I) – Lithium-Sekundärbatterie.

[5] Mes, 5. Aufl. 2020, PatG § 139 Rn. 55.

[6] Ausführlich Benkard PatG/Grabinski/Zülch/Tochtermann, 12. Aufl. 2023, PatG § 139 Rn. 18; BeckOK PatR/Pitz, 30. Ed. 15.10.2023, PatG § 139 Rn. 23.

[7] OLG Düsseldorf, Hinweisbeschl. v. 25.02.2010 – I-2 U 87/04 (unter 2) – Rollenumschreibung.

[8] BGH GRUR 2024, 273 – Polsterumarbeitungsmaschine mit Anmerkung von Kau und Donle.

[9] BGH GRUR 2024, 273 (276, Rn. 43 ff.) – Polsterumarbeitungsmaschine mit Anmerkung von Kau und Donle, dem vorangehend Raue GRUR 2022, 603, Leistner GRUR 2022, 609, Raue GRUR 2023, 1491 und Leistner GRUR 2023, 1497.

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