03. Rechtmäßigkeit einer polizeilichen Primärmaßnahme

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Richtet sich eine Klage oder ein Antrag gegen eine polizeiliche Primärmaßnahme, ist die Rechtmäßigkeit dieser unter Ermittlung der Rechtsgrundlage und Prüfung der formellen und materiellen Rechtmäßigkeit zu beurteilen.

Die Rechtmäßigkeit einer polizeilichen Primärmaßnahme kann nach folgendem Schema geprüft werden

  1. Rechtsgrundlage der polizeilichen Primärmaßnahme
    1. Rechtsgrundlage nach Art. 11 III PAG i.V.m. Spezialgesetz (Spezialbefugnis)
    2. Rechtsgrundlage nach Art. 11 I Hs. 2 i.V.m. Art. 12 – 65 PAG (Standardbefugnisse)
    3. Rechtsgrundlage nach Art. 11 I Hs. 1, II PAG (Generalbefugnis)
    4. Keine Sperrwirkung des Versammlungsrechts
  2. Formelle Rechtmäßigkeit
    1. Persönliche, sachliche und örtliche Zuständigkeit
    2. Verfahren
    3. Form
  3. Materielle Rechtmäßigkeit
    1. Voraussetzungen der Rechtsgrundlage
    2. Maßnahmerichtung (Adressat der polizeilichen Maßnahme)
    3. Ermessen (Art. 40 BayVwVfG i.V.m. Art. 5 PAG) und Verhältnismäßigkeit (Art. 4 PAG)

I. Rechtsgrundlage der polizeilichen Primärmaßnahme

Jede polizeiliche Maßnahme erfordert eine Rechtsgrundlage. In Betracht kommen hierfür

  1. Spezialbefugnisse nach Art. 11 III PAG i.V.m. Spezialgesetz
  2. Standardbefugnisse nach Art. 11 I Hs. 2 i.V.m. Art. 12 bis 65 PAG
  3. Generalbefugnis nach Art. 11 I Hs. 1, II PAG

Zu berücksichtigen ist jedoch, dass einer Rechtsgrundlage des PAG die Sperrwirkung des Versammlungsrechts entgegenstehen kann. Die abschließenden Regelungen des BayVersG haben gegenüber den allgemeinen sicherheitsrechtlichen Regelungen der PAG als lex specialis Vorrang – auch bezeichnet als Polizeifestigkeit des Versammlungsrechts. Entsprechend ist für die Anwendbarkeit einer Rechtsgrundlage des PAG erforderlich, dass entweder

  1. keine Versammlung besteht oder
  2. die Maßnahme zeitlich oder örtlich nicht die Versammlung bzw. das Versammlungsrecht betrifft.

II. Formelle Rechtmäßigkeit

Im Rahmen der formellen Rechtmäßigkeit ist (1) die persönliche, sachliche und örtliche Zuständigkeit, sowie (2) die Einhaltung der erforderlichen Verfahren und (3) der Form zu prüfen.

1. Persönliche, sachliche und örtliche Zuständigkeit

Grundsätzlich muss die handelnde Person eine im Vollzugsdienst tätige Dienstkraft der Polizei nach Art. 1 PAG sein.

Die sachliche Zuständigkeit erfordert die Aufgabeneröffnung nach Art 2 PAG und die Eilzuständigkeit i.S.d. Art. 3 PAG.

Art. 2 I PAG | Aufgaben der Polizei
Die Polizei hat die Aufgabe, die allgemein oder im Einzelfall bestehenden Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung abzuwehren.

Die Aufgabeneröffnung nach Art. 2 I PAG erfordert zunächst eine allgemeine oder konkret bestehende Gefahr.

Eine allgemeine Gefahr bezeichnet eine Sachlage, nach der nach allgemeiner Lebenserfahrung und ungehindertem Fortgang das Eintreten einer konkreten Gefahr für Schutzgüter zu erwarten ist.[1]

Eine konkrete Gefahr ist nach Art. 11 I 2 PAG eine Sachlage, die bei ungehindertem Ablauf des objektiv zu erwartenden Geschehens im Einzelfall mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu einer Verletzung von Schutzgütern der öf-fentlichen Sicherheit oder Ordnung führt.

Diese muss für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bestehen.

Der Begriff der öffentlichen Sicherheit umfasst den Schutz zentraler Rechtsgüter wie Leben, Gesundheit, Freiheit, Ehre, Eigentum und Vermögen des Einzelnen sowie die Unversehrtheit der Rechtsordnung und der staatlichen Einrichtungen, wobei in der Regel eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit angenommen wird, wenn eine strafbare Verletzung dieser Schutzgüter droht.[2]

Der Begriff der öffentlichen Ordnung umfasst die Gesamtheit der ungeschriebenen Regeln, deren Befolgung nach den jeweils herrschenden sozialen und ethischen Anschauungen als unerlässliche Voraussetzung eines geordneten menschlichen Zusammenlebens innerhalb eines bestimmten Gebiets angesehen wird.[3]

Zusätzlich ist die Eilzuständigkeit der Polizei erforderlich, da die Polizei nach Art. 3 PAG nur tätig wird, wenn eine andere Behörde nicht oder nicht rechtzeitig die Gefahr abwehren kann.

Art. 3 PAG | Verhältnis zu anderen Behörden
Die Polizei wird tätig, soweit ihr die Abwehr der Gefahr durch eine andere Behörde nicht oder nicht rechtzeitig möglich erscheint.

Die örtliche Zuständigkeit richtet sich nach Art. 3 I POG und besteht im gesamten Staatsgebiet Bayerns

Art. 3 I POG | Zuständigkeit, Dienstbereiche
Jeder im Vollzugsdienst tätige Beamte der Polizei ist zur Wahrnehmung der Aufgaben der Polizei im gesamten Staatsgebiet befugt.

2. Verfahren

In Hinblick auf das Verfahren ist zwischen Verwaltungsakten und Realakten zu differenzieren.

Ein belastender Verwaltungsakt erfordert nach Art. 28 I Bay­VwVfG des Beteiligten. Hiervon kann jedoch nach Art. 28 II Nr. 1 Alt. 1 BayVwVfG abgesehen werden, wenn eine sofortige Entscheidung wegen Gefahr im Verzug notwendig erscheint, was insbesondere dann gegeben ist, wenn die vorherige Anhörung und die damit verbundene Verzögerung den Erfolg der polizeilichen Maßnahme gefährden würde.

3. Form

Handelt es sich bei der Maßnahme um einen Verwaltungsakt, ist nach Art. 37 II 1 BayVwVfG keine besondere Form erforderlich und der Verwaltungsakt kann mündlich ergehen.

Nachweise

[1] BeckOK PolR Bayern/Holzner, 24. Ed. 1.3.2024, PAG Art. 2 Rn. 6.

[2] BVerfGE 69, 315 (352).

[3] BVerfGE 69, 315 (352).

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