News: Schuldrecht – Anspruch auf Schadensersatz und die Verletzung von Rücksichtnahmepflichten (§ 241 II BGB) bei der Verweigerung der Rücknahme nach dem Rücktritt vom Vertrag
verfasst von Ali Tahir Sen
Aus der Verweigerung der Rücknahme der mangelhaften Kaufsache kann aus §§ 437 Nr. 3, 434, 280 I, III, 281 BGB ein Schadensersatzanspruch resultieren. Daneben kann die Verweigerung der Rücknahme nach dem Rücktritt vom Vertrag unter besonderen Umständen des Einzelfalls wie einer Arsenbelastung großer Mengen der vom Verkäufer gelieferten Menge eine Verletzung von Rücksichtnahmepflichten (§ 241 II BGB) im Rückgewährschuldverhältnis darstellen und zu einem Schadensersatzanspruch nach § 280 I BGB führen.
BGH, Urt. v. 29.11.2023 – VIII ZR 164/21
Überblick und Einordnung
In vielen Fällen wird es im Interesse des Verkäufers liegen, eine mangelhafte Sache nach dem Rücktritt des Käufers zurückzunehmen, beispielsweise um diese weiter zu verwerten. Im Einzelfall kann jedoch die Rücknahme für den Verkäufer mit wirtschaftlichen Nachteilen verbunden sein, die die wirtschaftlichen Vorteile der Verwertung überwiegen können. Dies kann der Fall sein, wenn der Aufwand und die Kosten der Rücknahme (z.B. Versand) den verbleibenden Wert der Sache überwiegen oder aufgrund der Sache oder dessen Mangel – so hier – die Entsorgung der Sache mit erheblichen Kosten verbunden ist.
Nach § 346 I BGB sind im Fall des Rücktritts die empfangenen Leistungen zurückzugewähren und die gezogenen Nutzungen herauszugeben. Während hieraus die Pflicht des Käufers auf Herausgabe der Sache (und gezogener Nutzung) resultiert, ist bislang nicht höchst-richterlich geklärt, ob hieraus eine Pflicht des Verkäufers zur Rücknahme der Kaufsache resultiert, die durch die Verweigerung verletzt wäre. Zudem könnte aus der Verweigerung der Rücknahme nach §§ 437 Nr. 3, 434, 280 I, III, 281 BGB bei Vorliegen einer zu vertretenen Pflichtverletzung ein Schadensersatzanspruch resultieren.
Sachverhalt (vereinfacht)
K betreibt ein Bauunternehmen und bestellte für die Errichtung eines Park- und Containerverladeplatzes etwa 22.500 Tonnen Recycling-Schotter zur Verwendung als Unterbau zu einem Kaufpreis von etwa 150.000 Euro von B, die es von der Herstellerin H bezog und in ihrem (B) Auftrag an K im Juni 2012 liefern ließ. K zahlt den vereinbarten Kaufpreis und baute den Schotter ein.
2016 ergab sich bei einer Beprobung des Materials ein über dem tolerierbaren Wert liegender Arsengehalt des gelieferten Schotters. K zeigte mit Schreiben im September 2016 der B den mit den bisherigen Analyseergebnissen begründeten Anfangsverdacht einer Überschreitung der zulässigen Werte und wies auf die Erforderlichkeit weiterer Beprobung hin.
Mit rechtskräftigem Urteil vom 13.11.2018 wurde B auf Grundlage der Annahme eines wirksamen Rücktritts der K vom Kaufvertrag zur Rückzahlung des Kaufpreises und zur Tragung der Kosten für die ersatzweise Beschaffung von Recycling-Schotter verurteilt.
Mit Schreiben vom 27.02.2019 forderte K die B unter Fristsetzung zur Abholung des von ihr bereits teilweise ausgebauten Recycling-Schotters auf. B kam der Aufforderung nicht nach. Um das ersatzweise beschaffte Recycling-Schotter zu verlegen, entsorgte K den Schotter der B und verlangt nun die Verurteilung der B zur Zahlung der hierfür erforderlichen Kosten in Höhe von ungefähr 1,3 Millionen Euro.
Anspruch auf Schadensersatz aus §§ 437 Nr. 3, 434, 280 I, III, 281 BGB
Ein Schadensersatzanspruch der K kann sich zunächst aus den §§ 437 Nr. 3, 434, 280 I, III, 281 BGB ergeben. Dessen Voraussetzungen können nach folgendem Schema geprüft werden
- Anspruch entstanden
- Schuldverhältnis (wirksamer Kaufvertrag)
- Pflichtverletzung in Form eines (Sach-)Mangels oder in Form des Ausbleibens der Nacherfüllung & Kausalität
- Erfolgloser Fristablauf nach angemessener Fristsetzung oder Entbehrlichkeit einer Fristsetzung
- Vertretenmüssen
- Kein wirksamer Gewährleistungsausschluss
- Anspruch nicht erloschen (z.B. durch Erfüllung, Erfüllungssurrogate)
- Anspruch durchsetzbar (z.B. durch fehlende Fälligkeit, Einreden wie der Verjährung)
Problematisch war vorliegend vor allem, ob B die Pflichtverletzung in Form des Sachmangels zu vertreten hatte. Dies verneinte das OLG Zweibrücken (Urt. v. 27.05.2021 – 4 U 96/20) als Berufungsgericht, da zwar
die Darlegungs- und Beweislast zur Verschuldensfrage bei [B liege, da] aber ein Negativum – die nicht vorwerfbare Unkenntnis von Umständen, welche die [B] hinsichtlich des Vorliegens eines Sachmangels hätten argwöhnisch machen müssen – im Streit stehe, […] die [K] eine sekundäre Behauptungslast hinsichtlich des Vorhandenseins von Verdachtsmomenten bei Gefahrübergang [treffe und die B] als Letztverkäuferin in einem Streckengeschäft grundsätzlich darauf vertrauen dürfe[…], dass sich die in die Lieferkette eingeschalteten Fachhändler für Baubedarf redlich verhielten und die über das Material erstellten und auf die Herstellerin ausgestellten Prüfzeugnisse zuträfen.
BGH, Urt. v. 29.11.2023 – VIII ZR 164/21 Rn. 13.
Der BGH stimmt dem OLG Zweibrücken zwar insofern zu, dass sich B ein etwaiges Verschulden der H als Herstellerin nicht nach § 278 BGB zurechnen lassen muss, da H kein Erfüllungsgehilfe der B ist. Jedoch begegnet der Annahme des Berufungsgerichts über eine „sekundäre Behauptungslast“ rechtlichen Bedenken, da
im Rahmen des Entlastungsbeweises gibt es – auch bei auf Vorsatz beschränkter Haftung des Schuldners – keinen sachlichen Grund, dem Gläubiger des Anspruchs gemäß § 280 Abs. 1 Satz 1 BGB ausnahmsweise eine Darlegungslast aufzubürden (vgl. BGH, Urteil vom 12. Mai 2009 – XI ZR 586/07, NJW 2009, 2298 Rn. 17).
BGH, Urt. v. 29.11.2023 – VIII ZR 164/21 Rn. 21.
Daher obliegt die Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich der sie entlastenden Umstände der B. Ausschlaggebend ist hierfür, ob B bei der Anlieferung die mangelhafte Beschaffenheit der Kaufsache bei Anwendung der verkehrsüblichen Sorgfalt hätte erkennen können. Die Feststellungen des OLG Zweibrücken bieten nach dem BGH keine tragfähige Grundlage für die Entlastung der B.
Einen Anspruch auf Schadensersatz wegen Pflichtverletzungen im Rahmen der Nacherfüllung verneint der BGH (Rn. 17) unter Bezugnahme auf seine bisherige Rechtsprechung (BGH, Urt. v. 17.10.2012 – VII ZR 226/11 Rn. 14; Urt. v. 02.04.2014 – VII ZR 46/13 Rn. 27), „weil der Verkäufer bei solchen Verträgen im Rahmen der Nacherfüllung durch Ersatzlieferung weder den Ausbau der mangelhaften Sache noch den Einbau der neuen mangelfreien Sache schuldet. Im Streitfall galten jedoch die Vorschriften in der bis zum 31.12.2017 geltenden Fassung.
Anspruch auf Schadensersatz aus §§ 346 I, 280 I, 241 II BGB
Daneben könnte ein Schadensersatzanspruch der K aus der Verletzung einer Rücksichtnahmepflicht im Rückgewährschuldverhältnis nach der Erklärung des Rücktritts resultieren. Grundvoraussetzung hierfür ist ein – unterstellt – wirksamer Rücktritt vom Kaufvertrag, aus welchem das Rückgewährschuldverhältnis entsteht. Die Verweigerung der Rücknahme könnte eine Pflichtverletzung darstellen, sofern B überhaupt die Pflicht trifft, die Kaufsache zurückzunehmen.
Nach dem OLG Zweibrücken folgt aus § 346 I BGB
allein ein[…] Anspruch auf Rückgewähr. Der früheren Rechtsprechung, die eine Verpflichtung des Verkäufers zur Rücknahme einer mangelhaften Kaufsache angenommen habe (insbesondere im sogenannten Dachziegelfall des Bundesgerichtshofs, BGHZ 87, 104 ff.), sei durch den Wegfall der kaufrechtlichen Wandelung im reformierten Schuldrecht die Grundlage entzogen. […] Eine entsprechende Pflicht lasse sich auch nicht für Ausnahmefälle aus einer analogen beziehungsweise „spiegelbildlichen“ Anwendung von § 433 Abs. 2 BGB oder aus Treu und Glauben (§ 242 BGB) herleiten.
BGH, Urt. v. 29.11.2023 – VIII ZR 164/21 Rn. 14.
Dem BGH zufolge kann ein Schadensersatzanspruch der K nicht mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung verneint werden. Ob und unter welchen Voraussetzungen im Falle des Rücktritts des Käufers vom Kaufvertrag eine Pflicht des Verkäufers zur Rücknahme der Kaufsache besteht, ist in der Literatur und Rechtsprechung umstritten und ist bisher nicht höchst-richterlich geklärt. Hierzu führt der BGH aus:
Nach einer Ansicht soll der Verkäufer aufgrund einer – gewissermaßen spiegelbildlichen – Anwendung der Vorschrift des § 433 Abs. 2 BGB stets zur Rücknahme der Kaufsache verpflichtet sein
(vgl. jurisPK-BGB/Faust, Stand: 1. Februar 2023, § 346 Rn. 38; BeckOGK-BGB/Höpfner, Stand: 1. Oktober 2023, § 439 Rn. 120.2; ähnlich Erman/Metzger, BGB, 17. Aufl., § 346 Rn. 4 [„Anlehnung“]; OLG Nürnberg, NJW 1974, 2237, 2238).
Die Gegenansicht bejaht eine Rücknahmepflicht des Verkäufers nur ausnahmsweise
(vgl. etwa MünchKommBGB/Gaier, 9. Aufl., § 346 Rn. 66 [als Nebenpflicht im Rückgewährschuldverhältnis bei besonderem Interesse des Käufers]; Staudinger/Kaiser/Sittmann-Haury, BGB, Neubearb. 2022, § 346 Rn. 94 f. [aufgrund vertraglicher Störungsbeseitigungspflicht bei übermäßiger Belastung des Käufers]; BeckOGK-BGB/Schall, Stand: 1. Oktober 2023, § 346 Rn. 377 [aus § 242 BGB bei besonderer Lage der Dinge]; Soergel/Lobinger, BGB, 13. Aufl., § 346 Rn. 21, 23 [aus § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB analog bei fehlender Mitwirkung an der Erfüllung des Rückgewähranspruchs]; siehe zu § 439 BGB Lorenz, NJW 2009, 1633, 1634 f. [Rücknahmepflicht aus Sinn und Zweck der Nacherfüllung durch Neulieferung]).
BGH, Urt. v. 29.11.2023 – VIII ZR 164/21 Rn. 31 f.
Im konkreten Streitfall bedarf dieser Streit aus Sicht des BGH jedoch keiner Entscheidung, da als Anknüpfungspunkt einer Pflichtverletzung neben der Verletzung einer möglicherweise bestehenden Rücknahmepflicht, die Verletzung von Rücksichtnahmepflichten im Rückgewährschuldverhältnis in Betracht kommt. Die nach der konkreten Situation unter Bewertung und Abwägung der beiderseitigen Interessen zu bestimmenden Schutz- und Rücksichtnahmepflichten können unter besonderen Umständen als Pflichtverletzung den begehrten Schadensersatzanspruch begründen. Hierzu führt der BGH aus:
Erweisen sich in einer solchen Situation aufgrund besonderer Umstände des jeweiligen Einzelfalls die vom Gesetzgeber allgemein zur Wahrung der Interessen des (Rückgewähr-)Schuldners einer Leistung vorgesehenen Möglichkeiten – vor allem die Regelungen zum Verwendungs- und Aufwendungsersatz (§ 347 Abs. 2 BGB), zu den Folgen eines Annahmeverzugs des Gläubigers (§§ 293 ff. BGB) mit den Erleichterungen beim Verschuldensmaß (§ 300 Abs. 1 BGB) und hinsichtlich des Umfangs der geschuldeten Nutzungsherausgabe (§ 302 BGB), dem Recht zur Besitzaufgabe (§ 303 BGB) sowie dem Anspruch auf Ersatz von Mehraufwendungen für die Aufbewahrung und Erhaltung der Sache (§ 304 BGB, § 354 HGB), ferner die Regelungen zur Hinterlegung und Versteigerung beweglicher Sachen (§§ 372 ff., 383 ff. BGB) – für den Käufer als unzureichender Schutz, wird es regelmäßig als Verstoß gegen die Rücksichtnahmepflicht des Verkäufers anzusehen sein, wenn dieser die vom Käufer zum Zwecke der Rückgewähr gemäß § 346 Abs. 1 BGB angebotene Kaufsache nicht zurücknimmt, obwohl ihm die besondere Belastung des Käufers und die daraus folgende erhebliche Gefährdung seiner Rechte, Rechtsgüter und Interessen erkennbar geworden ist. In einem solchen Fall wird mit der an die Verletzung der Rücksichtnahmepflicht anknüpfenden Schadensersatzhaftung der Zustand hergestellt, der bei einem vollständigen Vollzug der Rückabwicklung des Kaufvertrags im Sinne des § 346 Abs. 1 BGB bestünde. […]
Zwar verlangen Rücksichtnahme- und Schutzpflichten grundsätzlich nicht, dass die verpflichtete Partei ihre eigenen Interessen unbeachtet lässt oder die Interessen der anderen Partei über ihre eigenen stellt […]. In dem hier in Rede stehenden Fall, in dem nur die Rückgewähr der Kaufsache im Sinne des § 346 Abs. 1 BGB eine Verletzung des Integritätsinteresses auf Seiten des Käufers abwenden kann, hat jedoch das Interesse des Verkäufers, gleichfalls von der mit dem Besitz oder dem Eigentum an der nunmehr lästig gewordenen Kaufsache einhergehenden besonderen Belastung verschont zu bleiben, nach Treu und Glauben mit Rücksicht auf den Zweck des Rückgewährschuldverhältnisses (§ 242 BGB) zurückzustehen. Denn nach der den Vorschriften der § 437 Nr. 2, §§ 440, 323, 326 Abs. 5 BGB in Verbindung mit §§ 346 ff. BGB zugrunde liegenden gesetzgeberischen Bewertung der beiderseitigen Interessen, die auch im Rahmen der Bestimmung dessen zu berücksichtigen ist, was einer Partei billigerweise an Rücksichtnahme auf die Interessen der anderen Partei zugemutet werden kann […], ist die Kaufsache einschließlich der mit ihr verbundenen wirtschaftlichen Belastungen im Verhältnis der Kaufvertragsparteien zueinander mit der Umgestaltung des Kaufvertrags in ein Rückgewährschuldverhältnis wert- und wertungsmäßig endgültig wieder dem Verkäufer zugewiesen.
BGH, Urt. v. 29.11.2023 – VIII ZR 164/21 Rn. 47 f.
Unter Berücksichtigung dieser Grundlagen, der von B verkauften großen Menge Recycling-Schotter – die mit mehr als 800 Lkw-Fuhren geliefert wurden – jedoch nicht auf der früheren Baustelle verbleiben können und der fehlenden Entlastung der B von der Verschuldensvermutung des § 280 I 2 BGB hebt der BGH das angefochtene Urteil des OLG Zweibrücken auf (§ 562 I ZPO) und weist es mangels Entscheidungsreife zur neuen Verhandlung und Entscheidung zurück (§ 563 I ZPO).
Weiterführende Literaturhinweise
Jaeger, „Die Positivierung des Rückgewährschuldverhältnisses im BGB“ in ZJS 2013, 327
Schwab, „Schuldrechtsmodernisierung 2001/2002 – Die Rückabwicklung von Verträgen nach §§ 346 ff. BGB n. F.“ in JuS 2002, 630
Kötz, „Risikoverteilung im Vertragsrecht“ in JuS 2018,1
Fälle zur Übung (Verfassungsbeschwerde)
Brinkmann/Pielsticker, „Hausarbeit: Wasserschaden“ in ZJS 2022, 534
Klawitter/Meyer, „Übungshausarbeit: Ärger in der Studentenbude“ in ZJS 2018, 239