News: Strafrecht – Spezialität & Verdrängung von Mordmerkmalen
verfasst von Ali Tahir Sen
Die Verwirklichung eines speziellen Mordmerkmals wie der Ermöglichungsabsicht geht in Hinblick auf die Beurteilung derselben Tatsache oder desselben Beweggrundes der Verwirklichung allgemeiner Mordmerkmale wie den niedrigen Beweggründen vor und lässt für die Annahme des allgemeinen Mordmerkmals keinen Raum.
BGH, Beschl. v. 13.03.2024 – 4 StR 448/21
Überblick und Einordnung
Der Mord nach § 211 StGB zeichnet sich durch die strafbegründenden (Rechtsprechung) oder strafschärfenden bzw. strafmodifizierenden (Literatur) Mordmerkmale aus, welche sich anhand des Beweggrundes, der Begehungsweise und des Begehungszwecks in Gruppe unterteilen lassen und dabei objektive tatbezogene Merkmale oder subjektive täterbezogene Merkmale enthalten.
Während ein Täter bei der Begehung einer Tat mehrere Beweggründe, Begehungsweisen oder Begehungszwecke verfolgen kann und somit mehrere Mordmerkmale erfüllen kann, beschäftigt sich der Beschluss des BGH u.a. mit der Frage, ob ein Beweggrund mehrere Mordmerkmale begründen kann, woraus sich Auswirkungen auf den Strafausspruch ergeben können.
Sachverhalt
T möchte ein ihm gefallendes Mädchen beeindrucken. Hierfür möchte sich den Wagen des in seiner Nachbarschaft lebenden O ausleihen und sie von der Schule abholen. Entgegen seiner Erwartung scheitern seine Bemühungen, O zur Übergabe der Schlüssel zu bewegen, und er entschließt sich, die Schlüssel mit Gewalt an sich zu nehmen. T versetzt O mit einem Klappmesser mehrere Schnitt- und Stichwunden in den Bereich des Oberkörpers und Halses und nimmt dabei billigend in Kauf, den O tödlich verletzen zu können. Der schwer verletzte und stark blutende O bricht in seiner Wohnung zusammen. T verlässt die Wohnung und nutzt den Wagen in den folgenden zwei Tagen. O wird dort tot aufgefunden, als die Polizei infolge eines Unfalls Ermittlungen anstellt.
Das Landgericht Arnsberg verurteilte T mit Urteil vom 22.06.2023 (2 KLs 4/23) wegen Mordes in Tateinheit (§ 52 StGB) mit Raub mit Todesfolge zu einer Jugendstrafe von neun Jahren und drei Monaten.
Die Strafbarkeit nach § 211 StGB
Relativ unproblematisch ist der Tod des O, somit eines anderen Menschen eingetreten und der Taterfolg ist kausal auf das Handeln des T zurückzuführen und ihm objektiv zuzurechnen.
Ebenso ist das Mordmerkmal der Ermöglichungsabsicht verwirklicht, da sich T den Gewahrsam an dem Fahrzeug des O mittels Gewalt verschaffen wollte und hierfür den Tod des O billigend in Kauf nahm. Die Verurteilung wegen Mordes wird bereits durch die Ermöglichungsabsicht rechtsfehlerfrei getragen.
Fraglich ist dahingegen, ob zugleich das Mordmerkmal der niedrigen Beweggründe besteht. Hierfür ist grundsätzlich erforderlich, dass die
Beweggründe zur Tat „niedrig“ sind, also nach allgemeiner sittlicher Wertung auf tiefster Stufe stehen und in deutlich weiterreichendem Maße als bei einem Totschlag als verwerflich und deshalb als besonders verachtenswert erscheinen, [was] aufgrund einer Gesamtwürdigung aller äußeren und inneren für die Handlungsantriebe des Täters maßgeblichen Faktoren zu [beurteilen ist.]
BGH, Beschl. v. 13.03.2024 – 4 StR 448/21 Rn. 9 m.w.N.
Das Mordmerkmal der niedrigen Beweggründe bejahte das Landgericht Arnsberg unter Bezugnahme auf die Wegnahme und Nutzung des Fahrzeugs, um ein Mädchen zu imponieren. Dem BGH zufolge bleibt unter Berücksichtigung dieser bereits die Ermöglichungsabsicht begründenden Beweggründe kein Raum für die Annahme niedriger Beweggründe, da das Landgericht übersehen hat, dass
niedrige Beweggründe, die zugleich spezielle Mordmerkmale erfüllen und denen darüber hinaus kein weiterer Unrechtsgehalt zukommt, von diesen speziellen Mordmerkmalen verdrängt werden […].
BGH, Beschl. v. 13.03.2024 – 4 StR 448/21 Rn. 9 m.w.N.
Ein solcher weiterer Unrechtsgehalt resultiert nach dem BGH auch nicht aus einem krassen Missverhältnis zwischen Tatanlass und Tötung, insbesondere da ein spontan gefasster Tötungsentschluss besteht. Zudem erwies sich das Urteil als rechtsfehlerhaft, da diese Umstände des Todes des O dem Täter angelastet wurden, diese jedoch im Rahmen der Feststellungen und Beweiswürdigung keine Stütze fanden.
Die Revision des T hat daher (teilweise) Erfolg, sodass die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen wurde.