Recht vertieft

Baurecht – Die Flutkatastrophe im Ahrtal & Wiederaufbau mit Hürden – Baugenehmigung & Bestandsschutz

verfasst von Ali Tahir Sen


Der Wiederaufbau eines durch die Flutkatastrophe im Ahrtal zerstörten Campingplatzes ist als Neuerrichtung baugenehmigungspflichtet und genießt keinen Bestandsschutz nach Art. 14 I GG.

VG Koblenz, Urt. v. 28.08.2023 – 1 K 172/23.KO



K betrieb seit 1969 den an der Ahr gelegenen Campingplatz C. Auf dem Gelände existieren zwei Gebäude, eine Toilettenanlage mit Pförtnerraum mit Bauschein von Mai 1969 und ein weiteres Gebäude mit Toiletten und Duschen mit Baugenehmigung vom März 1992. Für die Campinganlage bestand keine Baugenehmigung, eine solche war nach damaliger Rechtslage auch nicht erforderlich. Die nach der damaligen Rechtslage erforderliche gewerberechtliche Zulassung besteht seit Juli 1969.

Zudem wurde im September 1976 ein Planfeststellungsbescheid von der ehemaligen Bezirksregierung Koblenz für Aufschüttungen erlassen.

In der Nacht von dem 14. auf den 15.07.2021 wurde der Campingplatz und die Gebäude bei der Flutkatastrophe im Ahrtal beschädigt. Zwar waren tragende Konstruktionen der Gebäudedächer weitestgehend unversehrt geblieben und eine örtliche Kontrolle ergab, dass auch das Mauerwerk erhalten geblieben war und mit dem Bauschein bzw. der Baugenehmigung übereinstimmten. Es musste jedoch ein provisorisches Notdach angebracht werden, weil die ursprünglichen Dachkonstruktionen durch die Flut vollständig zerstört wurden. Der Campingplatz ist nahezu vollständig von Ablagerungen und Geröll bedeckt.

Im März 2022 veröffentliche die Arbeitsgruppe „Wiederaufbau Ahrtal“ ein Datenblatt für den Campingplatz des K, wonach dieser vollständig zerstört worden sie und keinen Bestandsschutz genieße.

Anfang Mai beantragte der K vom Landkreis Ahrweiler (B) den Erlass eines feststellenden Verwaltungsakts für den Bestandsschutz der beiden Gebäude und des Campinggeländes, um den Campingplatz ohne die Beantragung einer Baugenehmigung wieder aufbauen zu dürfen, was der Landkreis mit Schreiben Ende Juli ablehnte und ausführte, dass ein etwaiger Bestandsschutz auf Grund der Zerstörung des Dachstuhls der Gebäude erloschen sei und die gebotene vollständige Erneuerung eine genehmigungspflichtige Baumaßnahme darstelle.

Am 28.02.2023 erhob K Klage vor dem VG Koblenz und begehrt den Erlass eines feststellenden Verwaltungsakts zur Frage der Bestandskraft seines Campingplatzes nebst zugehöriger Gebäude und dass für den beabsichtigten Wiederaufbau keine Baugenehmigung erforderlich ist. B beantragt, die Klage abzuweisen und trägt vor, die erteilten Baugenehmigung hätten sich durch die Beschädigung erledigt und es bestände wegen der Zerstörung kein Bestandsschutz mehr.

Nach dem Urt. des VG Koblenz v. 28.08.2023 – 1 K 172/23 .KO ist die Klage des K zwar zulässig, aber unbegründet.

A. Zulässigkeit

Die Zulässigkeit der von K erhobenen Feststellungsklage kann nach folgendem Schema geprüft werden:

  1. Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs (§ 40 VwGO)
  2. Statthaftigkeit der Feststellungsklage
  3. Feststellungsinteresse (§ 43 I VwGO)
  4. Klagebefugnis (§ 42 II VwGO analog, str.)
  5. Beteiligtenfähigkeit (§ 61 VwGO)
  6. Prozessfähigkeit (§ 62 VwGO)
  7. Klagefrist & Form

I. Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs (§ 40 VwGO)

Der Verwaltungsrechtsweg ist eröffnet, wenn

  1. keine aufdrängende Sonderzuweisung vorliegt,
  2. eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit nicht-verfassungsrechtlicher Art vorliegt und
  3. keine abdrängende Sonderzuweisung gegeben ist.

Da die streitentscheiden Normen, die des Baurechts sind, die dem Öffentlichen Recht zuzuordnen sind, liegt eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit vor. Zumindest K als Streitbeteiligter nimmt nicht unmittelbar am Verfassungsleben teil und es geht im Kern nicht um die Anwendung und Auslegung von Verfassungsrecht, sodass nach der Theorie der doppelten Verfassungsunmittelbarkeit keine Streitigkeit verfassungsrechtlicher Art vorliegt. Aufdrängende und abdrängende Sonderzuweisen sind nicht ersichtlich, sodass der Verwaltungsrechtsweg eröffnet ist.

II. Statthaftigkeit der Feststellungsklage

Die statthafte Klageart richtet sich nach dem Begehren des K (vgl. § 88 VwGO). Da K die Feststellung begehrt, ob eine Baugenehmigung für den Wiederaufbau seines Campingplatzes erforderlich ist, kommt eine Feststellungsklage nach § 43 I Alt. 1 VwGO in Betracht.

Der Statthaftigkeit der Feststellungsklage könnte die Subsidiarität nach § 43 II 1 VwGO entgegenstehen, wenn K seine Rechte durch eine Gestaltungs- oder Leistungsklage verfolgen kann oder hätte verfolgen können. Vorliegend kommt vor allem die Erhebung einer Ver­pflicht­ungs­klage auf Erteilung einer Baugenehmigung in Betracht, hierzu stellt das VG Koblenz fest:

Insbesondere ist der Kläger nicht aus Gründen der Subsidiarität auf die Erhebung einer Verpflichtungsklage zur Erteilung einer Baugenehmigung zu verweisen […], weil sein Begehren gerade auf die Klärung der Frage der Genehmigungsbedürftigkeit des Wiederaufbaus seines Campingplatzes gerichtet ist (§ 88 VwGO). Für dieses Begehren ist die Feststellungsklage die richtige Klageart […].

VG Koblenz, Urt. v. 28.08.2023 – 1 K 172/23.KO (unter I.).

Die Feststellungsklage ist somit statthaft.

III. Feststellungsinteresse (§ 43 I VwGO)

Nach § 43 I VwGO erforderlich ist weiter ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung. Hierzu führt das VG Koblenz aus:

Auch das von § 43 Abs. 1 VwGO vorausgesetzte berechtigte Interesse an dieser Feststellung sowie das Rechtsschutzbedürfnis liegen vor, weil der Beklagte von einem Genehmigungserfordernis ausgeht und der Kläger im Falle des für ihn mit wirtschaftlichen Investitionen verbundenen Wiederaufbaus ohne die begehrte Feststellung mit bauaufsichtsrechtlichen Maßnahmen rechnen muss. Außerdem würde er sich der Gefahr der Begehung einer Ordnungswidrigkeit aussetzen (§ 89 Abs. 1 Satz 1 Landesbauordnung (LBauO)).

VG Koblenz, Urt. v. 28.08.2023 – 1 K 172/23.KO (unter I.).

IV. Weitere Voraussetzungen der Zulässigkeit

Unproblematisch gegeben ist die Klagebefugnis, Beteiligtenfähigkeit und Prozessfähigkeit des K und des B und die Einhaltung der Klagefrist und Form.

B. Begründetheit

Die Klage des K ist begründet, soweit sie sich gegen den richtigen Beklagten richtet (hier unproblematisch) und der Wiederaufbau des Campingplatzes keiner Baugenehmigung bedarf, sodass die Klage begründet ist, wenn

  1. kein genehmigungsbedürftiges Vorhaben i.S.d. Art. 55 BayBO (§ 61 LBauO-RP) vorliegt,
  2. K über die erforderliche Baugenehmigung verfügt, oder
  3. die Baugenehmigung ausnahmsweise aus Gründen des Bestandsschutzes entbehrlich ist.

  i  

Die Prüfung der Begründetheit wurde an die Bayerische Bauordnung (BayBO) angepasst und um die Normzitate aus dem Urteil zur Landesbauordnung Rheinland-Pfalz (LBauO-RP) ergänzt. Ähnliche Regelungen finden sich in anderen Bundes-ländern.

I. Kein genehmigungsbedürftiges Vorhaben i.S.d. Art. 55 I BayBO (§ 61 LBauO-RP)

Nach Art. 55 I BayBO (§ 61 LBauO-RP) bedarf die Errichtung, Änderung und Nutzungsänderung von Anlagen einer Baugenehmigung, soweit in Art. 56 bis 58, 72 und 73 BayBO (§§ 62, 67, 76 und 84 LBauO-RP) nichts anderes bestimmt ist. Erforderlich ist somit (1.), dass der Campingplatz eine Anlage darstellt, die (2.) errichtet oder geändert wird oder deren Nutzung geändert wird und dies (3.) keinem der Ausnahmetatbestände unterfällt.

1. Campingplatz als Anlage

Nach Art. 2 I 3 Nr. 3 BayBO (§ 2 I 2 Nr. 3 LBauO-RP) gelten Camping- und Wochenendplätze als bauliche Anlagen, somit auch der Campingplatz des K.

2. Errichtung, Änderung oder Nutzungsänderung

Unter den Begriff der Errichtung einer Anlage fällt sowohl die Errichtung als auch der Neu- und Wiederaufbau einer abgerissenen oder zerstörten baulichen Anlage, sodass der Wiederaufbau eine Errichtung darstellen würde, wenn der Campingplatz zerstört wurde und nicht nur instandgesetzt wird. Eine Instandsetzung liegt vor, wenn durch die beabsichtigte Baumaßnahme die Identität der Anlage gewahrt wird, während bei einem „intensiven“ Eingriff in den vorherigen Bestand, eine genehmigungspflichtige Errichtung vorliegt. Zu berücksichtigen sind hierbei, ob „die Standfestigkeit des gesamten Bauwerks berührt und eine statische Nachberechnung des gesamten Gebäudes erforderlich [ist], oder [ob] die für die Instandsetzung notwendigen Arbeiten den Aufwand für einen Neubau erreichen oder gar übersteigen, oder [ob] die Bausubstanz ausgetauscht oder das Bauvolumen wesentlich erweitert wird.“[1] Hierzu führt das VG Koblenz aus:

Zwar sind die – von den Beteiligten in erster Linie in den Blick genommenen – ursprünglich vorhandenen Betriebsgebäude nicht vollständig zerstört worden; insbesondere sind die Außenwände noch weitgehend vorhanden. Ob dies dazu führt, dass die Wiedererrichtung dieser Gebäude bei isolierter Betrachtung noch als Instandsetzungsmaßnahme und nicht als Neuerrichtung anzusehen wäre, kann jedoch dahinstehen. Denn wegen der Fiktion des [Art. 2 I 3 Nr. 3 BayBO (§ 2 I 2 Nr. 3 LBauO-RP)] ist auf den Campingplatz als Gesamtanlage abzustellen. Diese Regelung dient gerade dazu, eine präventive Kontrolle der Gesamtanlage „Campingplatz“ unter bauordnungsrechtlichen und bauplanungsrechtlichen Gesichtspunkten sicherzustellen […]. Zum Campingplatz als Gesamtanlage gehören nicht nur die Betriebsgebäude, sondern insbesondere auch die Stellplatzflächen nebst Erschließungsanlagen und der weiteren zum Betrieb des Campingplatzes benötigten Infrastruktur. […] Diese Flächen sind durch die Hochwasserkatastrophe völlig zerstört worden. […] Auf [Lichtbildaufnahmen] ist ersichtlich, dass die ehemalige Campingplatzfläche nahezu komplett von Ablagerungen und Geröll bedeckt ist. Es ist keinerlei Infrastruktur erkennbar. Lediglich die beschädigten Betriebsgebäude, von denen eines mit einem Notdach versehen ist, lassen auf das ursprüngliche Vorhandensein eines Campingplatzes schließen.

VG Koblenz, Urt. v. 28.08.2023 – 1 K 172/23.KO (unter II.1.).

Angesichts des Zustands des Campingplatzes ist somit vom K keine Instandsetzung, sondern eine genehmigungspflichtige Neuerrichtung beabsichtigt.

3. Ausnahmetatbestände

Der Wiederaufbau unterfällt keinem der Ausnahmetatbestände nach Art. 56 bis 58, 72 und 73 BayBO (§§ 62, 67, 76 und 84 LBauO-RP).

II. Vorliegen einer Baugenehmigung

Eine neue Baugenehmigung wäre nicht erforderlich, bereits bzw. weiterhin eine Baugenehmigung besteht. In Betracht kommen insbesondere die Baugenehmigung und der Bauschein der Betriebsgebäude und eine Legalisierungswirkung des 1976 erteilten Planfeststellungsbescheids.

1. Baugenehmigung & Bauschein der Betriebsgebäude

Unabhängig von der Frage, ob sich die Baugenehmigung und der Bauschein auf die Betriebsgebäude erstreckt, haben sich diese angesichts der Zerstörung nach § 43 II BayVwVfG erledigt.

2. Legalisierungswirkung des Planfeststellungsbescheids

Gleiches gilt auch für eine mögliche Legalisierung des Campingplatzes durch den 1976 erteilten Planfeststellungsbescheid. Auch dessen Regelung ist infolge der Zerstörung gegenstandslos geworden.

III. Entbehrlichkeit der Baugenehmigung aus Gründen des Bestandsschutzes

Eine Baugenehmigung könnte jedoch entbehrlich sein, wenn sich K auf den Bestandsschutz als Ausprägung der Eigentumsgarantie nach Art. 14 I GG berufen kann. Bau­liche Anlagen, die im Einklang mit dem materiellen Bau­recht errichtet wurden, sind in ihrem Bestand geschützt, selbst wenn sie zu einem späteren Zeitpunkt nicht mehr genehmigungsfähig oder genehmigt wären.

Vorliegend liegt keine Baugenehmigung für den Campingplatz vor, da zum Zeitpunkt der Errichtung nur eine gewerberechtliche Zulassung erforderlich war und diese bestand.

Doch auch dem Bestandsschutz kann die Zerstörung der Anlage entgegenstehen. Hierzu führt das VG Koblenz aus:

Voraussetzung [für einen Bestandsschutz] ist jedoch ein bestandsschutzfähiger baulicher Bestand […] Ein Minimum an baulicher Verfestigung jeder Nutzung ist als Anknüpfungspunkt für den Bestandsschutz unverzichtbar. Denn der Bestandsschutz wird begründet, „wenn und weil“ eine schutzwürdige materiell legale Eigentumsausübung vorliegt. Der Bestandsschutz beschränkt sich auf die Sicherung des durch die Eigentumsausübung Geschaffenen; darin liegt der Sinn und die Rechtfertigung für die Verwendung des Begriffs „Bestandsschutz“, mit dem, wie schon der Name sagt, auf den Bestand in seiner bisherigen Funktion und damit auf das tatsächlich Vorhandene Bezug genommen wird.

VG Koblenz, Urt. v. 28.08.2023 – 1 K 172/23.KO (unter II.1.2).

Einen minimalen Bestand wiederum verneint das VG Koblenz, sodass ein Bestandsschutz nicht mehr besteht.

C. Ergebnis

Der Wiederaufbau des Campingplatzes bedarf somit einer Baugenehmigung. Die Klage des K wird vom VG Koblenz als unbegründet abgewiesen.

Weiterführende Literaturhinweise

Dürr, „Die Klausur im Baurecht“ in JuS 2007, 328, 431, 531.

Lindner/Struzine,Die Baugenehmigung“ in JuS 2016, 226.

Praktische Fälle: Roth, ZJS 2021, 800 ff. (Referendarexamensklausur), Schray, ZJS 2011, 515 ff. (Semesterabschlussklausur).

Nachweis

[1] BVerwG NJW 1986, 2126 – Erweiterter Bestandsschutz.


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