Recht vertieft

News: Grundrechte – Rechtmäßiger Widerruf der Approbation eines wegen gepanschter Krebsmedikamenten verurteilten Apothekers (Bottroper Apotheker)

verfasst von Ali Tahir Sen


Ein zur Herstellung von Medikamenten für die Behandlungen von Krebspatienten befugter Apotheker, der die Maßgaben der ärztlichen Vorordnung massiv und tausendfach nicht einhält, hierdurch eine nicht überschaubare Gesundheitsgefährdung für teilweise schwer erkrankte Patienten in Kauf nimmt und deren Vertrauen aus persönlichen finanziellen Interessen missbraucht, ist unzuverlässig und unwürdig im Sinne des § 6 II BApO i.V.m. § 4 I 2 Nr. 1 BApO



Der Kläger, ein Apotheker auf Bottrop, betrieb bis Ende November 2016 eine Apotheke, für die er die behördliche Erlaubnis besaß, nach ärztlicher Anordnung Zytostatika für die Behandlung von Krebspatienten herzustellen. Aufgrund von Ermittlungen wegen des dringenden Tatverdachts des „mindestens 40.000-fachen Herstellens, Inverkehrbringens oder sonst Handeltreibens mit Arzneimitteln oder Wirkstoffen, die durch Abweichungen von den anerkannten pharmazeutischen Regeln in ihrer Qualität nicht unerheblich gemindert sind, und gewerbsmäßigen Betrugs zu Lasten von Krankenkassen und Privatpatienten“ wurde am 24.11.2016 gegen den Kläger ein Haftbefehl erlassen und die Bezirksregierung Münster als Approbationsbehörde in Kenntnis gesetzt. Am 14.03.2017 wurde das Ruhen der Approbation als Apotheker angeordnet.

Am 06.07.2018 wurde der Kläger u.a. wegen vorsätzlichen Verstoßes gegen das Arzneimittelgesetz in insgesamt 14.537 Fällen in Tateinheit und wegen Betrugs in 59 Fällen zu einer Freiheitsstrafe von 12 Jahren verurteilt, sowie ein lebenslanges Berufsverbot und die Einziehung eines Wertersatzbetrags von 17 Millionen Euro angeordnet (Große Strafkammer des LG Essen, Urt. v. 06.07.2018 – 305 Js 330/16 56 KLs 11/16). Letzteres reduzierte der BGH in Rahmen der Revision des Klägers auf 13.605.408 Euro (Beschl. v. 10.06.2020 – 4 StR 503/19). Eine Anhörungsrüge wurde als unbegründet zurückgewiesen, eine Verfassungsbeschwerde ist anhängig. Am 07.09.2020 erging ein Bescheid der zuständigen Approbationsbehörde und ging dem Kläger am 14.09.2020 zu. Nach Ziffer 1. wurde die Approbation des Klägers widerrufen, nach Ziffer 2. musste er die Approbationsurkunde abgeben, wobei ihm für ein nicht fristgemäßes Handeln nach Ziffer 3. ein Zwangsgeld i.H.v 500 € angedroht wurde. Nach Ansicht der Approbationsbehörde folgt aus den zahlreichen Straftaten, die sich aus der Verurteilung des Klägers ergeben

dessen Unwürdigkeit als auch Unzuverlässigkeit zur Ausübung des Berufs als Apotheker […]. Der Widerruf der Approbation des Klägers sei auch im Lichte der Berufsfreiheit aus Art. 12 des Grundgesetzes (GG) nicht unverhältnismäßig. Insbesondere stehe das im strafrechtlichen Verfahren verhängte lebenslange Berufsverbot dem Widerruf der Approbation nicht entgegen.

VG Gelsenkirchen, Urt. v. 25.08.2022 – 18 K 3908/20 Rn. 15.

Mit anwaltlichen Schreiben vom 08.09.2020 setzte K die Approbationsbehörde davon in Kenntnis, dass er eine Verfassungsbeschwerde erhoben hat und bat, die Entscheidung über den Widerruf seiner Approbation bis zu einer Entscheidung des BVerfG zurückzustellen. Am 14.10.2020 erhob er Klage gegen den Widerruf. Als Begründung trägt er vor, dass der Widerruf nicht auf Grundlage seiner strafrechtlichen Verurteilung ergehen kann, da dieses ihn in seinem

Grundrecht auf ein faires, rechtsstaatliches Verfahren als Ausprägung der freiheitssichernden Funktion des [Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG verletzte], da die Strafkammer [die Auswirkungen seiner Hirnverletzung unzureichend erfasst habe und] den von ihm beantragten Sachverständigenbeweis nicht erhoben habe.

VG Gelsenkirchen, Urt. v. 25.08.2022 – 18 K 3908/20 Rn. 17.

Dies seien „tragende Begründungsstränge“ seiner Verurteilung und somit lägen „gewichtige Anhaltspunkte“ vor, aus denen sich die Unrichtigkeit seiner Verurteilung ergebe und weswegen im Ergebnis der Bescheid (Widerruf) aufzuheben sei. Das beklagte Land (NRW) beantragte die Klage abzuweisen.

Die nachfolgende Besprechung geht nicht auf die (landesrechtlich geprägte) Zulässigkeit der Klage ein, jedoch ist das Gericht nach § 52 Nr. 3 S. 2 und S. 5 VwGO örtlich zuständig. Trotz dessen, dass der Kläger sich aufgrund seiner Inhaftierung in einem anderen Verwaltungsgerichtsbezirk befindet, ist es auch sachlich zuständig, da er nicht freiwillig seinen bisherigen Wohnsitz aufgegeben hat (§ 83 1 VwGO i.V.m. § 17 I 1 GVG)

Eine Approbation ist nach § 6 II BApO zu widerrufen, wenn nachträglich eine der Voraussetzungen nach § 4 I 2 Nr. 2 BApO weggefallen ist. Nach § 4 I 2 Nr. 2 BApO ist erforderlich, dass sich der Antragsteller (bzw. der Adressat des Widerrufs der Approbation) nicht eines Verhaltens schuldig gemacht hat, aus dem sich seine Unwürdigkeit oder Unzuverlässigkeit zur Ausübung des Apothekerberufs ergibt. Sowohl die Unwürdigkeit als auch die Unzuverlässigkeit stellen unbestimmte Rechtsbegriffe dar, für welche kein Beurteilungsspielraum der Behörde besteht und die der vollen gerichtlichen Überprüfung im Rahmen der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 IV 1 GG unterliegen.

Der unbestimmte Rechtsbegriff der Unwürdigkeit lässt sich durch die Aufgaben eines Apothekers nach § 1 BApO konkretisieren. Nach § 1 BApO ist der Apotheker berufen, die Bevölkerung ordnungsgemäß mit Arzneimitteln, die zur Anwendung beim Menschen bestimmt sind, und Tierarzneimitteln (Arzneimittel) zu versorgen und der Gesundheit des einzelnen Menschen und des gesamten Volkes zu dienen. In Hinblick auf den grundgesetzlich gewährleisteten Schutz der Berufsfreiheit nach Art. 12 I GG und dem Verhältnisgebot ist für eine Unwürdigkeit und somit den Widerruf der Approbation

vielmehr ein schwerwiegendes Verhalten, das bei Würdigung aller Umstände das für eine ordnungsgemäße Aufgabenerfüllung unabdingbare Vertrauen zwischen Apotheker und Patient nachhaltig zerstört [erforderlich.]

VG Gelsenkirchen, Urt. v. 25.08.2022 – 18 K 3908/20 Rn. 41.

Diese Verfehlung muss nicht unmittelbar im Verhältnis zum Patienten angesiedelt sein, es ist ausreichend, wenn

sie zu einem Ansehens- und Vertrauensverlust führ[t], der den Betroffenen für seinen Beruf als untragbar erscheinen lässt, [wofür] alle Umstände der Verfehlung(en) zu berücksichtigen [sind], wie etwa Art, Schwere und Dauer des Fehlverhaltens, verhängtes Strafmaß und zugrundeliegende Strafzumessungserwägungen [sowie], ob im maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt des Abschlusses des Verwaltungsverfahrens Anhaltspunkte vorliegen, die dazu führen, dass von einer Berufsunwürdigkeit nicht oder nicht mehr ausgegangen werden kann

VG Gelsenkirchen, Urt. v. 25.08.2022 – 18 K 3908/20 Rn. 43 ff.

Für den konkreten Fall stellt das VG Gelsenkirchen fest, dass der Kläger

ein gravierendes Fehlverhalten gezeigt [hat], das mit dem Berufsbild und den allgemeinen Anforderungen an die Persönlichkeit des Apothekers schlechthin nicht vereinbar ist. […]

VG Gelsenkirchen, Urt. v. 25.08.2022 – 18 K 3908/20 Rn. 51.

Das ergibt sich aus Sicht des VG Gelsenkirchen bereits aus den 59 Fällen des Betrugs des Klägers durch monatliche, falsche Abrechnungen gegenüber Krankenkassen. Hierzu stellt es fest:

Eine korrekte Abrechnung pharmazeutischer Leistungen gegenüber den gesetzlichen Krankenkassen gehört zu den selbstverständlichen Berufspflichten des Apothekers. Die Gefährdung der finanziellen Basis der öffentlichen wie auch privaten Kostenträger durch betrügerische Abrechnungen in großem Umfang über viele Jahre hinweg und einem Schaden in Millionenhöhe stellt auch ohne einen unmittelbaren behandlungsrelevanten Bezug eine gravierende berufliche Verfehlung dar. Die Verlässlichkeit des Abrechnungssystems ist eine unerlässliche Bedingung für das Funktionieren der medizinischen wie auch pharmazeutischen Versorgung der Bevölkerung, die der Sicherung eines besonders wichtigen Allgemeininteresses dient […]

VG Gelsenkirchen, Urt. v. 25.08.2022 – 18 K 3908/20 Rn. 53.

Dies gilt nach dem VG Gelsenkirchen erst recht für die Verstöße gegen das Arzneimittelgesetz durch das Herstellen und Inverkehrbringen der mangelhaften Medikamente.

Ein Apotheker, der – wie der Kläger – mit einer Erlaubnis zur Herstellung von Zytostatika für die Behandlung von Krebspatienten die Maßgaben der ärztlichen Verordnung massiv und wiederholt in mehreren tausend Fällen nicht einhält und dadurch nicht überschaubare Gesundheitsgefährdungen für teils schwer erkrankte Patienten in Kauf nimmt und deren Vertrauen rücksichtslos missbraucht, um seine persönlichen finanziellen Interessen zu befriedigen, verletzt den Kernbereich seiner beruflichen Pflichten in äußerst hohem Maße […] Art, Umfang und zeitliche Dauer dieser 14.537 Taten, die der Kläger nach den zur rechtskräftigen Verurteilung führenden Feststellungen des Landgerichts zu verantworten hat, lassen ihn gerade mit Blick auf die medizinisch nicht überschaubaren Folgen für die von den solcherart hergestellten Arzneimittel betroffenen Patienten für die Ausübung des Apothekerberufs als unwürdig erscheinen. Angesichts der außerordentlichen Vielzahl der im Kernbereich der beruflichen Tätigkeit des Klägers begangenen Taten und der dabei aufgrund der betrügerischen Abrechnungen gegenüber den (öffentlichen) Kostenträgern über einen Zeitraum von fast fünf Jahren erzielten hohen Gewinne im mehrstelligen Millionenbereich würde das Vertrauen der Öffentlichkeit in den Berufsstand aller Apotheker nachhaltig erschüttert, wenn ein solches Verhalten für den Fortbestand der Approbation des Klägers folgenlos bliebe […]

VG Gelsenkirchen, Urt. v. 25.08.2022 – 18 K 3908/20 Rn. 58.

Im Ergebnis stellt das VG Gelsenkirchen daher eine Unwürdigkeit des Klägers fest, was grundsätzlich bereits den Widerruf nach § 6 II BApO erfordern würde („hat“ zu widerrufen).

Zur Unzuverlässigkeit des Klägers stellt das VG Gelsenkirchen fest:

[Er hat] über die erhebliche Zeitspanne von nahezu fünf Jahren wissentlich seine Pflichten als Apotheker mit der vom örtlichen Gesundheitsamt verliehenen Erlaubnis für die Herstellung und das Inverkehrbringen von individuell nach ärztlicher Verordnung hergestellten Krebsmedikamenten massiv verletzt. Dieses jahrelange erhebliche Fehlverhalten, das zu seiner rechtskräftigen Verurteilung geführt hat, lässt prognostisch auf eine bei ihm deutlich verfestigte Neigung schließen, er werde seinen beruflichen Pflichten als Pharmazeut auch zukünftig nicht die erforderliche Bedeutung für die Patienten, aber auch der Gesundheit der Bevölkerung insgesamt beimessen. […] Auch an der strafgerichtlichen Aufarbeitung seines Fehlverhaltens hat der Kläger nach den Feststellungen des Landgerichts nicht ansatzweise mitgewirkt. Bis zuletzt zeigt er sich uneinsichtig und leugnet seine strafrechtliche Verantwortung. Wie bereits oben ausgeführt, besteht das Risiko, dass aufgrund des Fehlverhaltens des Klägers Arzneimittel mit erheblichen Nichtwirkungen unter Missachtung der ärztlichen Vorgaben eingesetzt worden sind, die Gesundheitsgefahren bei den betroffenen Anwendern ausgelöst haben. Dies ist insbesondere der Fall, wenn die vom Kläger herzustellenden Arzneimittel zur Behandlung von schweren, lebensbedrohlichen Krankheiten wie im Rahmen der Krebsbehandlung bestimmt waren. Eine Abgabe von Arzneimitteln an diese Patienten ohne zutreffenden Wirkstoffgehalt ist in höchstem Maße verwerflich. Indem der Kläger bewusst darauf verzichtet hat, die Arzneimittel mit den tatsächlich verschriebenen Wirkstoffgehalten zu dosieren, hat er sich über dieses Risiko entweder bewusst hinweggesetzt oder das Risiko für eine Gesundheitsverschlechterung schlicht nicht erkennen wollen. Im ersten Fall offenbart diese Handlungsweise eine sorglose und bedenkenlose Einstellung im Umgang mit diesen Arzneimitteln, die die Prognose rechtfertigt, dass der Kläger auch künftig seine Prüfungspflichten in eklatanter Weise vernachlässigen wird. Im zweiten Fall ist zu befürchten, dass es wegen fehlenden Fachwissens und einer Fehleinschätzung von Situationen und Gesundheitsgefahren zu weiteren massiven Verstößen gegen Berufspflichten kommen wird.

VG Gelsenkirchen, Urt. v. 25.08.2022 – 18 K 3908/20 Rn. 64.

Nach der Feststellung der Unwürdigkeit und Unzuverlässigkeit des Klägers widmet sich das VG Gelsenkirchen seinem Einwand, der Widerruf seiner Approbation dürfe nicht auf seine strafrechtliche Verletzung stützen, da dieses ihn in seinen Grundrechten verletzt.

Hierzu stellt es grundsätzlich fest, dass es vorrangig Aufgabe der Strafgerichte ist, festzustellen, ob Straftatbestände erfüllt worden sind und eine Schuld besteht, und dass die in einem rechtskräftigen Strafurteil erhaltenen tatsächlichen Feststellung in der Regel Grundlage behördlicher und gerichtlicher Beurteilung sein dürfen.

Dies gilt so lange keine gewichtigen Anhaltspunkte einer Unrichtigkeit der Feststellungen oder der Beweiswürdigung in der strafgerichtlichen Entscheidung ergeben, diese somit nicht offensichtlich unrichtig ist.

Eine offensichtliche Unrichtigkeit der strafrechtlichen Verurteilung verneint das VG Gelsenkirchen und stellt fest:

Gewichtige Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit der Feststellungen und der Beweiswürdigung in der strafgerichtlichen Entscheidung ergeben sich weder aus dem Vortrag des Klägers noch aus dem gesamten Inhalt der beigezogenen Strafakten. Dies gilt insbesondere unter Berücksichtigung seines Vorbringens in der von ihm gegen seine Verurteilung erhobenen Verfassungsbeschwerde. Soweit der Kläger hier mit einem Rechtsgutachten die Rechtsauffassung vertritt, das Landgericht Essen habe ihn nicht im Wege des Rechtsinstituts des uneigentlichen Organisationsdelikts verurteilen dürfen, betrifft dies nicht im Kern die Feststellung des Sachverhalts, sondern allein dessen – hier nicht relevante sowie im Übrigen vom Bundesgerichtshof bestätigte – rechtliche Bewertung. […] Schließlich zieht auch der Vortrag des Klägers, das Landgericht Essen habe sein Recht auf rechtliches Gehör verletzt, weil es seinen Antrag, zum Nachweis seiner – wie er meint – mangelnden oder eingeschränkten Schuldfähigkeit einen Facharzt für Neurologie als Sachverständigen zu hören, zu Unrecht abgelehnt habe, die Richtigkeit der rechtskräftigen Feststellungen nicht in Zweifel. Dringende Gründe zur Annahme, der Kläger sei bei Begehung sämtlicher ihm zur Last gelegter Taten nicht voll schuldfähig gewesen, sind auch im Übrigen weder substantiiert vorgetragen noch sonst ersichtlich.

VG Gelsenkirchen, Urt. v. 25.08.2022 – 18 K 3908/20 Rn. 75 f.

Darüber hinaus stellt das VG Gelsenkirchen fest, dass § 4 I 1 Nr. 2 BAoP der Abwehr von Gefahren dient, somit keine weitere Bestrafung darstellt und kein strafbares bzw. schuldhaftes Verhalten voraussetzt. „Schuldig gemacht“ im Sinne des § 4 I 1 Nr. 2 BAoP erfordert nach Ansicht des VG Gelsenkirchen keine volle Schuldfähigkeit im strafrechtlichen Sinne.

Vielmehr ist der Begriff „schuldig gemacht“ ordnungsrechtlich dahin zu verstehen, dass dem Apotheker das Fehlverhalten im Sinne einer adäquaten Kausalität zugerechnet werden können muss

vgl. mit ausführlicher Begründung und mit weiteren Nachweisen Hessischer VGH, Beschluss vom 13. April 2022 – 7 A 2210/18.Z (zum inhaltsgleichen § 3 Abs. 1 Nr. 2 BÄO); vgl. auch BVerfG, Kammerbeschluss vom 16. Januar 1991 – 1 BvR 1326/90. [VG Gelsenkirchen, Urt. v. 25.08.2022 – 18 K 3908/20 Rn. 80.]

Schließlich widmet sich das VG Gelsenkirchen der Frage, ob der Widerruf der Approbation als subjektive Berufszulassungsregelung gegen höherrangiges Recht, die verfassungsrechtlich gewährleistete Berufswahlfreiheit ver­stößt.

Ein Verstoß gegen die Berufswahlfreiheit des Art. 12 I 1 Var. 1 und S. 2 GG kann nach folgendem Schema geprüft werden:

  1. Eröffnung des Schutzbereichs
    1. Sachlicher Schutzbereich
    2. Persönlicher Schutzbereich
  2. Eingriff in den Schutzbereich
  3. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung des Eingriffs
    1. Beschränkbarkeit (Schranke)
    2. Verhältnismäßigkeit – Drei-Stufen-Theorie (Schranken-Schranke)

Bei der Tätigkeit als Apotheker handelt es sich um einen auf Dauer angelegten und der Schaffung bzw. Erhaltung der Lebensgrundlage dienende Tätigkeit und somit um einen Beruf i.S.d Art. 12 I GG, sodass bei Einschränkungen zur Wahl des Apothekerberufs der sachliche Anwendungsbereich der Berufswahlfreiheit eröffnet ist. Unproblematisch ist für den Kläger der persönliche Schutzbereich eröffnet. Ein Eingriff liegt darin, dass nach § 6 II BApO der Widerruf zu erfolgen hat, wodurch der Kläger selbst, gegenwärtig und zumindest mittelbar durch den Widerruf der Approbation betroffen ist.

Bei Art. 12 I 1 GG handelt es sich grundsätzlich um ein vorbehaltloses Grundgesetz, nach der Rechtsprechung des BVerfG findet es aber seine Schranken durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes, vorliegend dem BApO.

Nach der Drei-Stufen-Theorie des BVerfG ist im Rahmen der Verhältnismäßigkeit danach zu differenzieren, ob ein Eingriff in die Berufswahlfreiheit oder die Berufsausübungsfreiheit vorliegt. Die Drei-Stufen-Theorie erfasst die Berufsausübungsregelungen in der ersten Stufe, die subjektiven Berufswahlregelungen in der zweiten Stufe und objektive Berufswahlregelungen auf der dritten Stufe. Der Widerruf der Approbation hat nach § 6 II i.V.m. § 4 I 1 Nr. 2 BAoP aus Gründen zu erfolgen, die in der Person des Betroffenen liegen, sodass es sich um subjektive Berufswahlregelungen handelt (Stufe 2)

Ein Eingriff ist nach der zweiten Stufe der Drei-Stufen-Theorie gerechtfertigt, wenn der Eingriff dem Schutz wichtiger Gemeinschaftsgüter dient. Der Eingriff muss somit diesen legitimen Zweck verfolgen, geeignet und erforderlich sein, dem Schutz wichtiger Gemeinschaftsgüter zu dienen und angemessen sein.

Hierzu stellt das VG Gelsenkirchen fest:

Der hier in Rede stehende Widerruf der Approbation des Klägers ist zum Schutz der wichtigen Gemeinschaftsgüter der Gesundheitsversorgung und der Sicherung der finanziellen Stabilität und damit der Funktionsfähigkeit der gesetzlichen Krankenversicherung geeignet. Er ist zudem trotz des strafgerichtlich als Maßregel der Besserung und Sicherung zulasten des Klägers angeordneten lebenslangen Berufsverbots erforderlich. [Das] ergibt sich aus dem unterschiedlichen Zweck des strafrechtlichen Berufsverbots und der in diesem Verfahren zur gerichtlichen Beurteilung gestellten behördlichen Maßnahme des Widerrufs der Approbation. Das Berufsverbot aus [§ 70 StGB] ist eine tatbezogene Maßregel der Besserung und Sicherung zur Verhinderung einer Wiederholung der abgeurteilten Tat; sie kann ggf. zeitlich befristet und überdies unter Umständen auch noch nachträglich zur Bewährung ausgesetzt werden. Der Widerruf der Approbation wegen Straftaten, die die Unzuverlässigkeit und/oder Unwürdigkeit als Apotheker begründen, ist demgegenüber eine personenbezogene, auf die Einhaltung der Pflichten eines Pharmazeuten zielende berufsrechtliche Maßnahme. Diese tatübergreifenden speziellen berufsrechtlichen präventiven Aspekte zur Abwehr von Gefahren für ein wichtiges Gemeinschaftsgut […] deckt ein strafrechtliches Berufsverbot nicht ab. Auch sonst sind mildere, aber gleich wirksame Mittel als der Approbationswiderruf im Falle des Klägers nicht ersichtlich.

VG Gelsenkirchen, Urt. v. 25.08.2022 – 18 K 3908/20 Rn. 86 ff.

Zu Angemessenheit stellt es in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des BVerwG fest:

Die mit dem Eingriff in den Schutzbereich verbundenen Folgen für den Kläger stehen nicht ansatzweise außer Verhältnis zu dem hiermit verfolgten Zweck. Dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wird schließlich auch dadurch Rechnung getragen, dass für Betroffene die (theoretische) Möglichkeit besteht, nach Abschluss des Widerrufsverfahrens einen Antrag auf Wiedererteilung der Approbation zu stellen und gegebenenfalls die Erteilung einer Erlaubnis nach §§ 2 Abs. 2, 11 BApO zu beantragen.

VG Gelsenkirchen, Urt. v. 25.08.2022 – 18 K 3908/20 Rn. 93.

Ziffer 1. der Ordnungsverfügung ist somit rechtmäßig, sodass sich nicht die Frage stellt, ob Ziffer 2. (Rückgabe der Approbationsurkunde) und Ziffer 3. (Zwangsgelds) der Ordnungsverfügung (weiterhin) rechtmäßig sind. Das VG Gelsenkirchen weist die Klage mit Urteil vom 25.08.2022 (18 K 3908/20) als unbegründet ab.


verfasst von Ali Tahir Sen


Weiterführende Literaturhinweise:

Grundfälle zu Art. 12 I GG: Nolte/Tams, JuS 2006, 31, 130, 218.

Grundfälle zur Verhältnismäßigkeit: Michael, JuS 2001, 148, 654, 764, 866.

Praktische Fälle: Pfeffer/Steffahn, ZJS 2017, 317 ff.; Berg/Zentgraf, ZJS 2020, 381 ff. (Fortgeschrittenenklausur); Schaks/Wildgans, ZJS 2018, 345 ff. (Anfängerklausur).


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