News: Grundrechte – Verfassungsbeschwerde gegen Virenschutz-Warnung des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) nicht zu Entscheidung genommen
verfasst von Ali Tahir Sen
Die Verfassungsbeschwerde von KasperskyTM aufgrund der Warnung des BSI, wonach dieser „selbst offensive Operationen durchführen, oder gegen seinen Willen dazu gezwungen werden, Zielsysteme anzugreifen, oder als Opfer einer Cyber-Operation ohne seine Kenntnis ausspioniert oder als Werkzeug für Angriffe gegen seine eigenen Kunden missbraucht werden“ könnte, wurde vom BVerfG mangels Wahrung des Grundsatzes der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde (Art. 94 II 1 GG, § 90 II BVerfGG) nicht zur Entscheidung angenommen.
Am 15.03.2022 veröffentlichte das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) nach § 7 BSIG eine Warnung vor der Virenschutzsoftware des Herstellers KasperskyTM. In dieser schildert es zunächst, welche Ziele eine Virenschutzsoftware verfolgt und dass Zweifel an der Zuverlässigkeit aufgrund der „weitreichende Systemberechtigung“ und einer „dauerhafte[n], verschlüsselte[n] und nicht prüfbare[n] Verbindung zu den Servern des Herstellers“ besondere Risiken mit sich bringen.
Im Rahmen dieser Warnung empfahl des BSI als „Handlungsempfehlung“, die Virenschutzsoftware des Unternehmens KasperskyTM durch alternative Produkte zu ersetzen. Hiergegen legte die Kaspersky Labs GmbH vertreten durch den Geschäftsführer die Berufung gegen
- den Beschluss des Verwaltungsgerichts Köln vom 1. April 2022 – 1 L 466/22, in welchem der Antrag nach § 123 I 2 VwGO gerichtet auf den Widerruf der Warnung und der Untersagung weiterer Warnungen wie vom 15.03.2022 abgelehnt wurde;
- den Beschluss des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 28. April 2022 – 4 B 473/22, wonach die Beschwerde gegen die Versagung vorläufigen Rechtsschutz durch das VG zurückgewiesen wurde und
- beantragte den Erlass einer einstweiligen Anordnung.
Zunächst stellt das BVerfG (Beschl. v. 02.06.2022 – 1 BvR 1071/22 Rn. 2) in Übereinstimmung mit der stRespr. fest, dass die Verfassungsbeschwerde gegen Entscheidungen im einstweiligen Rechtsschutz die Erschöpfung des Rechtswegs in der Hauptsache gebieten, sofern nicht geltend gemacht wird, dass das Fachgericht gerade durch die Art und Weise der Bearbeitung des Antrags eine Rechtsverletzung verursacht hat. Hierzu führt das BVerfG aus:
BVerfG, Beschl. v. 02.06.2022 – 1 BvR 1071/22 Rn. 2.
Wenn die Durchführung des Hauptsacheverfahrens unzumutbar ist, kann sich der Beschwerdeführer für die Rüge von Grundrechtsverletzungen auf die Hauptsache beziehen.
Die Durchführung ist unzumutbar,
BVerfG, Beschl. v. 02.06.2022 – 1 BvR 1071/22 Rn. 3.
Dies verneint das BVerfG jedoch im konkreten Fall. Die vom Beschwerdeführer gerügte Verletzung der Art. 12 I, 14 I, 3 I GG beziehen sich nicht auf das fachgerichtliche Eilverfahren und es wird nicht die Verletzung von dort zu beachtenden Verfahrensrechten geltend gemacht. Auch das fachgerichtliche Verfahren ist nach Ansicht des BVerfG nicht aussichtslos, da das VG und OVG „lediglich“ im Rahmen der summarischen Prüfung zu dem Ergebnis gelangt sind, dass die vom BSI ausgesprochene Warnung rechtmäßig ist und die Hauptsache noch nicht entschieden ist. Aus diesem Grund ist nach Ansicht des BVerfG die Erschöpfung nicht unzumutbar.
Auch eine ausnahmsweise zulässige Verfassungsbeschwerde aufgrund allein spezifisch verfassungsgerichtlicher Fragen, verneint das BVerfG. Hierzu führt es aus:
BVerfG, Beschl. v. 02.06.2022 – 1 BvR 1071/22 Rn. 7.
Eine Unzumutbarkeit, den Rechtsweg in der Hauptsache wegen drohender, schwerer und unabwendbarer Nachteile i.S.d. § 90 II BVerfGG zu bestreiten, wurde nach Ansicht des BVerfG nicht hinreichend dargelegt. So reicht ein Hinweis auf die voraussichtliche Dauer eines Hauptsacheverfahrens nicht aus, nach dem BVerfG ist:
BVerfG, Beschl. v. 02.06.2022 – 1 BvR 1071/22 Rn. 8.
Von einer weiteren Begründung sieht das BVerfG ab (§ 93d I 3 BVerfGG).
Weiterführende Literaturhinweise:
Grundfälle zur Verfassungsbeschwerde: Geis/Thirmeyer in JuS 2012, 316 ff.
Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde: Peters/Markus in JuS 2013, 887 ff.
Zur Beschwerdebefugnis bei Verletzung der GRCh: BVerfG NJW 2020, 314 ff. = JuS 2020, 284 ff. – Recht auf Vergessen II, als Hausarbeit Chatziathanasiou/Neumann in JuS 2022, 229 ff., sowie als Referendarexamensklausur Wiese/Schildheuer in ZJS 2021, 501 ff..
Prakische Fälle: Klimke/Valentin in ZJS 2022, 63 ff. (Referendarexamensklausur); Kerkemeyer/Kleiner in ZJS 2021, 334 ff. (Hausarbeit); Mayser in ZJS 2021, 198 ff. (Referendarexamensklausur); Schaks/Wildgans in ZJS 2018, 345 ff. (Anfängerklausur).
verfasst von Ali Tahir Sen
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