Auch im Fall einer zur Herstellung der Verkehrssicherheit erforderlichen (Teil)-Reparatur verstößt die Kombination fiktiver und konkreter Schadensberechnung gegen das „Vermischungsverbot“.
Die Erstattung fiktiven Schadensersatzes im Rahmen der §§ 249 BGB ist umstritten. So bejahen der V. und VI. Senat des BGH, zuständig für Grundstücksrecht, Nachbarrecht, Wohnungseigentumsrecht sowie Recht der unerlaubten Handlung, die Möglichkeit einer fiktiven Schadensberechnung, nicht dahingegen der VII. Senat zuständig für Werkverträge (BGH, Urt. v. 22.02.2018 – VII ZR 46/17). Unbestritten und vom Gesetzgeber in § 249 II 2 BGB festgeschrieben ist, dass im Rahmen der fiktiven Schadensberechnung die nicht anfallende Umsatzsteuer nicht erstattungsfähig ist. Bereits 2021 bestätigte der BGH, dass zwar der Beschädigte nach der Wahl der fiktiven Schadensberechnung auf die konkrete „zurückweichen“ könne, eine Kombination jedoch nicht möglich ist (BGH Urt. v. 12.10.2021 – VI ZR 513/19).
Unbeantwortet war bisher, ob im Fall einer zur Herstellung der Verkehrssicherheit notwendigen Reparatur fiktive und konkrete Schadensberechnung kombiniert werden können und die (zum Teil angefallene) Umsatzsteuer erstattet werden kann. Dies hat der BGH am 05.04.2022 (VI ZR 7/21) unter Berufung auf das „Vermischungsverbot“ verneint und stellt hierzu fest:
[…] Da die Klägerin den Weg der fiktiven Schadensabrechnung gewählt hat und nicht zu einer konkreten Berechnung ihres Schadens auf der Grundlage der durchgeführten Reparatur übergegangen ist, kann sie nicht den Ersatz der im Rahmen der Teilreparatur angefallenen Umsatzsteuer verlangen. Eine Kombination fiktiver und konkreter Schadensberechnung ist insoweit nicht zulässig.
BGH, 05.04.2022 – VI ZR 7/21 Rn. 12.
[…] Hierdurch soll nicht nur verhindert werden, dass sich der Geschädigte unter Missachtung des schadensrechtlichen Bereicherungsverbots die ihm vorteilhaften Elemente der jeweiligen
Berechnungsart aussucht („Rosinenpicken“), sondern auch den unterschiedlichen Grundlagen der jeweiligen Abrechnung Rechnung getragen und deren innere Kohärenz sichergestellt werden (Senatsurteil
vom 12. Oktober 2021 – VI ZR 513/19, NJW 2022, 543 Rn. 18 mwN).
BGH, 05.04.2022 – VI ZR 7/21 Rn. 14.
Dem durch einen Verkehrsunfall Geschädigten entsteht durch das Vermischungsverbot [aber auch] kein Nachteil. Auch wenn er seinen Fahrzeugschaden zunächst fiktiv abgerechnet hat, kann er später – im Rahmen der rechtlichen Voraussetzungen für eine solche Schadensabrechnung und der Verjährung – grundsätzlich zur konkreten Schadensabrechnung übergehen und Ersatz der tatsächlich angefallenen Kosten verlangen (Senatsurteil vom 12. Oktober 2021 – VI ZR 513/19, NJW 2022, 543 Rn. 20 mwN).
BGH, 05.04.2022 – VI ZR 7/21 Rn. 16
Der BGH geht anschließend anhand der Grundzüge der bisherigen Rechtsprechung und den Gesetzgebungsunterlagen in Hinblick auf die Erstattung der Umsatzsteuer auf den von der Revision angeführten, vermeintlichen Widerspruch zwischen der Rechtsprechung und dem Zweck des § 249 II 2 BGB.
Durch die gesetzliche Regelung wollte der Gesetzgeber zwar nichts an der Möglichkeit des Geschädigten ändern, den für die Herstellung erforderlichen Geldbetrag stets und insoweit zu verlangen,
als er zur Herstellung des ursprünglichen Zustandes tatsächlich angefallen ist (vgl. BT-Drs. 14/7752, 13 f., 23 f.). Diese Möglichkeit wird dem Geschädigten durch das Vermischungsverbot aber
nicht genommen. Wie oben ausgeführt bleibt es dem Geschädigten unbenommen, seinen Schaden konkret abzurechnen oder, wenn er ihn zunächst fiktiv abgerechnet hat, – im Rahmen der rechtlichen
Voraussetzungen für eine solche Schadensabrechnung und der Verjährung – zu einer konkreten Berechnung auf der Grundlage der tatsächlich veranlassten Restitutionsmaßnahme überzugehen (vgl.
Senatsurteil vom 12. Oktober 2021 – VI ZR 513/19, NJW 2022, 543 Rn. 25 mwN). Nur dann ist die Umsatzsteuer für den Geschädigten „auf dem von ihm gewählten Weg“ (BT-Drs. 14/7752 S. 23 f.) der
Schadensbeseitigung und Abrechnung tatsächlich angefallen im Sinne des § 249 Abs. 2 Satz 2 BGB.
BGH, 05.04.2022 – VI ZR 7/21 Rn. 20.
Schließlich widmet es sich der – bisher vom BGH nicht entschiedenen – Fall, dass eine Teilreparatur zur Herstellung der Verkehrssicherheit notwendig ist und geht zunächst auf die von der Senatsrechtsprechung eröffnete Möglichkeit der Ersatzfähigkeit fiktiver Reparaturkosten über den Wiederbeschaffungsaufwand hinaus bis zur Grenze des Wiederbeschaffungswertes ein. Diese schützt das Integritätsinteresse (Nutzung des Fahrzeugs) und die Dispositionsfreiheit des Geschädigten und ermöglicht die fiktive Schadensabrechnung.
Dies erlaubt dem Geschädigten aber nicht, sich darüber hinaus unter Vermengung von fiktiver und konkreter Abrechnung zusätzlich die Vorteile der konkreten Abrechnung zu sichern. Auch in diesem
Fall fällt die Umsatzsteuer nicht auf die – nach der Entscheidung des Geschädigten der Schadensberechnung zugrunde gelegte – fiktive Reparatur an, sondern auf die – nach seiner Entscheidung
gerade nicht abgerechnete – konkrete Teilreparatur. Der Geschädigte darf auch insoweit nicht einzelne Elemente der einen Abrechnung mit der anderen kombinieren, sondern muss sich für eine
Abrechnungsart – fiktiv oder konkret – entscheiden. Andernfalls verstieße er gegen das Vermischungsverbot.
BGH, 05.04.2022 – VI ZR 7/21 Rn. 22.
Im Ergebnis verneint der BGH einen Anspruch der Klägerin (= Geschädigte) auf Ersatz der auf die Teilreparatur angefallenen Umsatzsteuer.
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